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heute in hamburg„Integration ist ein Scherz“

Lesung Tunay Önder und Imad Mustafa bringen ihren Blog „Migrantenstadl“ als Buch heraus

Foto: privat
Tunay Önder

35, studierte Soziologin, freie Autorin und Kulturschaffende im Theater, Mitbegründerin des Blogs Migrantenstadl.

taz: Frau Önder, bleibt man Migrantin auf Lebenszeit?

Tunay Önder:Wenn man will, ja, und ich will es. Migrant zu sein ist im Nationalstaat eine politische Stellungnahme. Man erfährt die Gesellschaft aus einem alternativen Blickwinkel.

Bedient der Blog Migrantenstadl, den Sie und Imad Mustafa seit fünf Jahren betreiben, diese Perspektive?

Definitiv! Wir geben den Gastarbeiterkindern und ihrer Mehrheimigkeit eine Stimme. Ich bin selbst in einer Gastarbeiterfamilie aufgewachsen und habe meine deutsche Geschichte, genau wie mein Nachbar. Nur dass er seine für selbstverständlich hält, meine aber nicht.

Ist Ihr Nachbar intolerant?

Mir geht es nicht darum, Toleranz einzufordern. Ich würde mir wünschen, dass Deutschland ein neues Selbstverständnis gewinnt, in dem Mehrheimigkeit zur Norm wird. Deutsch-Türken sollten sich für türkische Politik mitverantwortlich fühlen und Türkisch sprechen dürfen, ohne Vorwürfe von Deutschen fürchten zu müssen.

Ist es arrogant, Integration einzufordern? Müssen wir jetzt anfangen, Türkisch zu lernen?

Ja natürlich, ganz provokativ gesagt. Integration als Zwang ist ein Scherz. Es geht vielmehr um das gemeinsame Interesse aller an den verschiedenen Kulturen und Sprachen, die hier in Deutschland zusammenkommen. Jeder hat seine ganz eigene Geschichte, niemand hat das Recht, anderen ihr Verhalten vorzuschreiben.

Manche Deutsche haben Angst vor Überfremdung.

Ich weiß auch nicht, warum manche Menschen mit Angst reagieren, andere mit Liebe. Aber ich glaube, Humor könnte schon mal weiterhelfen.

Fertigen Sie deshalb Collagen von Merkel in einer Burka an?

Das ist eine dadaistische Umkehrung, sie zeigt die Absurdität dieser ganzen Einwanderungsdebatte. Dass Menschen Grenzen überschreiten, wird als Problem verkauft, dabei sind die Grenzen selbst das Problem. Wir wollen in dieser künstlichen Diskussionen gar keine Aufklärungsarbeit leisten, sondern die Community von Migranten in dem Bewusstsein stärken, dass sie nicht allein sind mit ihren Problemen.

Interview Patrick Jütte

Buchvorstellung: 20 Uhr, Buchhandlung Schanzenviertel, Schulterblatt 55

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