Schluss mit fadenscheinig

Existenzfrage Auf einen Blick sollen Konsumenten in Zukunft erkennen können, ob Kleidung komplett fair produziert wurde – durch das Siegel Fairtrade Textile Production

von Volker Engels

Menschenverachtende Arbeitsbedingungen bei der Herstellung von Kleidung haben in der Vergangenheit in Bangladesch und anderswo immer wieder zu toten und verletzten Arbeitern und Arbeiterinnen in Textilfabriken geführt. Ein neues Fair-Trade-Siegel will das ändern.

Fair produzierte Baumwolle, die ohne den Einsatz von illegaler Kinderarbeit produziert wird, auf Gentechnik verzichtet und die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Kleinbauern verbessert, ist schon seit einigen Jahren auf dem Markt. Das neue Siegel Fairtrade Textile Production soll jetzt die gesamte Lieferkette zertifizieren: vom Feld bis zur Ladentheke. „Die Lieferkette von Textilien ist sehr umfangreich und beinhaltet etwa das Spinnen, Weben und Färben der Baumwolle“, sagt Claudia Brück vom Siegelverein Transfair. Ein unabhängiges Zertifizierungsunternehmen kontrolliert vor Ort, ob die Standards für das Siegel eingehalten werden. Firmen und deren Zulieferer, die das Siegel Fairtrade Textile Production nutzen wollen, müssen in Zukunft unter anderem zusichern, dass sie innerhalb von sechs Jahren existenzsichernde Löhne zahlen, Gewerkschaften oder Arbeitnehmervertretungen zulassen und den Gesundheitsschutz achten. In einer Färberei sind dann zum Beispiel Schutzmasken und Handschuhe vorgeschrieben, Schulungen zum Thema Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz obligatorisch.

Eine zentrale Rolle spielt die faire Entlohnung: „Im Moment ist es oft so, dass Arbeitnehmer in den Fabriken an sechs Tagen zwölf bis vierzehn Stunden arbeiten und von ihrem Lohn trotzdem nicht die Familie ernähren können“, so Claudia Brück. Trägt zukünftig ein Kleidungsstück das Label, wissen Verbraucher, dass existenzsichernde Löhne über die gesamte Lieferkette gezahlt wurden. Diese Lohnhöhe ermittelt Fairtrade im Zweifelsfall zusammen mit lokalen Akteuren.

Ein Text unter dem Siegel informiert darüber, ob die fairen Löhne bereits gezahlt werden, oder ob sich ein Unternehmen noch in der Umstellungsphase befindet, in der es noch keine existenzsichernde Bezahlung gibt: Hier gilt: Innerhalb von sechs Jahren muss die Entlohnung angepasst werden.

Auch daran entzündet sich die Kritik der Kampagne für Saubere Kleidung (CCC), in der auch Femnet mitarbeitet. Der gemeinnützige Verein setzt sich für menschenwürdige, existenzsichernde und sozial gerechte Arbeitsbedingungen von Frauen weltweit ein: „Siegel für Produkte sind allerhöchstens eine Zwischenlösung. Wir wollen, dass sich das gesamte Unternehmen mit seiner Einkaufspolitik umstellt und eventuell zertifizieren lässt“, sagt Gisela Burckhardt, geschäftsführend im Vorstand. Es bestehe die Gefahr der „Schönfärberei“, wenn lediglich einzelne Produkte eines Unternehmens nach fairen Standards produziert werden, ein Großteil der Kleidung aber weiter aus Billigfabriken komme. Zudem sei es für Konsumenten auf dem Fair-Trade-Etikett „nicht einfach zu erkennen, dass ein Unternehmen noch keine existenzsichernden Löhne bezahlt, sondern sich nur verpflichtet, dieses womöglich erst in sechs Jahren zu tun“.

Auf Seiten der Produzenten in den Ländern des Südens sei die Resonanz auf das neue Siegel positiv, sagt Brück. „Wir gehen in die Fabriken und besprechen mit dem Management und den Arbeitnehmern, wie die Umstellung funktionieren kann.“ Schwieriger sei es dagegen, in den Abnehmerländern Unternehmen zu finden, die sich verlässlich und langfristig engagieren. Aktuell seien in Deutschland drei Modeunternehmen mit von der Partie, voraussichtlich 2017 komme das erste Kleidungsstück mit komplett gesiegelter Lieferkette auf den Markt. „Das ist ein guter Anfang, reicht aber bei Weitem nicht aus.“

Noch immer sei es üblich, „dass auch europäische Firmen Aufträge erteilen, die in Indien oder Bangladesch geringstbietend versteigert werden“. Den Zuschlag erhalten also Fabriken, die am billigsten produzieren. „Dieser Preisdruck nach unten ist eines der Grundübel.“ Ein ähnliches Phänomen ist auch aus dem Baumwollanbau seit langem bekannt: gegen subventionierte billige Baumwolle aus den USA oder aus China kommen Kleinbauern nicht an.

Die Angst mancher Konsumenten in Deutschland, dass der Kauf fair produzierter Kleidung ein tiefes Loch in die Haushaltskasse reißen könnte, ist unbegründet. Bei einem Marken-T-Shirt, das bei uns für 29 Euro über die Ladentheke geht, entfallen auf die Lohnkosten für die Beschäftigten in der Konfektionierung gerade einmal 18 Cent, zeigt eine Studie der Fair Wear Foundation. „Die Personalkosten sind also lächerlich gering, sie machen einen Bruchteil des Ladenpreises für eine Hose, ein Hemd oder T-Shirt aus“, sagt Claudia Brück. Das erscheint für deutsche Konsumenten wohl noch erschwinglich.