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Keine Zunahme antisemitischer TendenzenAntisemitismus bleibt, wie er ist

Auf die Große Anfrage von SPD und Grünen legt der Senat seine Antwort vor: Antisemitismus in Bremen ja, Zunahme der antisemitischen Tendenzen nein

Die Frage nach dem Antisemitismus bewegt die Gemüter: Blick ins Publikum des taz-Salons Foto: Michael Bahlo

Bremen taz | Die Antwort des Senats auf die Große Anfrage der Grünen und SPD-Fraktionen zum Antisemitismus in Bremen liegt jetzt vor. Grüne und SPD wollten unter anderem wissen, wie stark der Antisemitismus in Bremen ist, ob sich antisemitische Strömungen in den vergangenen Jahren verstärkt haben und welche Maßnahmen und Strategien der Senat dem entgegensetzt. Der Senat stellte zunächst klar: Ja, in Bremen gibt es Antisemitimsus. Zugleich wies er darauf hin, dass antisemitische Strömungen in Bremen zumindest nicht zunehmen.

Mit dem Thema Antisemitismus befasste sich auch der taz Salon am Dienstag: Hier diskutierten Podiumsgäste und Publikum im trotz brütender Hitze vollbesetzten Kyoto im Lagerhaus die Frage: „Wie antisemitisch sind wir?“ – ein Thema, das in Bremen offenbar viele Menschen umtreibt.

Hintergrund der Anfrage von Grünen und SPD ist zum einen der konstant hohe – bundesweite – Anteil von etwa 35 Prozent Antisemitismus in Deutschland, der nicht nur an den politischen Rändern, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt ist, und zum anderen antisemitische Aktionen in Bremen wie etwa Boykott-Aufrufe gegen israelische Produkte. Zuletzt fiel der Pfarrer einer evangelischen Gemeinde – und Beauftragter der evangelischen Kirche Bremen für interreligiösen Dialog – damit auf, dass er sich im Mailverkehr mit einem Journalisten der Jerusalem Post selbst als Antisemit bezeichnete.

Dass antisemitische Strömungen in Bremen trotz allem nicht weiter zunehmen, belegt der Senat ausführlich anhand von Justiz- und Polizeistatistiken – deren Manko allerdings ist, dass sie antisemitische Straftaten meist nicht detailliert ausweisen, sondern alles unter der Rubrik rechtsextremistisch/fremdenfeindlich subsummieren. Dass jedoch gegen vorhandene antisemitische Tendenzen entschieden vorgegangen werden muss, darüber herrscht Einigkeit.

Kirsten Kappert-Gonther, Grünen-Abgeordnete und Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft wertet die Antwort des Senats so: „Es ist gut, dass der Senat eine so klare Haltung vertritt. Er erkennt an, dass es dieses Problem gibt und dass wir uns hier in Bremen gegen Antisemitismus starkmachen müssen.“

Ein Großteil der Fragen von SPD und Grünen betraf weiterhin die Gewichtung des Themas in der Aus- und Weiterbildung, etwa die Verankerung in Lehrplänen und die Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrer. Während es Grünen und SPD besonders wichtig war, dass die Sensibilisierung für Antisemitismus über die historisch-politische Bildung hinausgeht, zeigt sich in der Antwort des Senats, dass hier noch deutlich Luft nach oben ist: So sehen die Curricula zwar eine ausführliche Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und der Shoa vor, bieten zugleich aber wenig Anknüpfungspunkte für eine Thematisierung von heutigem Antisemitismus in seinen verschiedenen Ausprägungen. Doch genau darum geht es auch Kirsten Kappert-Gonther: „Der Senat hat sehr umfangreich dargestellt, welche Angebote es in Bremen gibt, und das würdigen wir,“ so die Abgeordnete. „Allerdings gibt es Studien wie die von Wilhelm Kempf, die belegen, dass viele dieser Angebote die jungen Menschen überhaupt nicht erreichen. Und da muss man jetzt überlegen: Was können wir tun, damit wir unser Ziel auch erreichen?“ Man sollte jetzt überprüfen, ob man nicht „zeitgemäßere Angebote machen“ müsse.

Ausbaufähig scheint auch das Engagement der Landeszentrale für politische Bildung zu sein: Nach Aussage des Senats werden nur in Ausnahmefällen eigene Publikationen zum Thema Antisemitismus erstellt. Hauptsächlich werde auf das Material der Bundeszentrale zurückgegriffen.

Das ist ein deutlichesBekenntnis gegen die Boykottbewegung.

Kirsten Kappert-Gonther (Grüne)

Eine für den Bremer Kontext zentrale Frage, das zeigte auch der gestrige taz salon, ist die Bewertung der Boykott-Aktionen gegen israelische Waren. Die Kernfrage, wo Israelkritik aufhört und Antisemitismus anfängt, zeigt sich an diesem Beispiel besonders deutlich und konnte auch die Diskussion im Lagerhaus nicht beantworten. Der Senat jedoch machte in seiner Antwort auf die Große Anfrage klar: Die Aufrufe zum Boykott israelischer Waren lehne er strikt ab. Für Kirsten Kappert-Gonther ist das eines der wichtigsten Ergebnisse: „Das ist eine klare Haltung des Senats und ein deutliches Bekenntnis gegen die Boykottbewegung.“

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3 Kommentare

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  • Taz-Salon „Wie antisemtisch sind wir?“ oder „wie festgefahren sind wir?“

     

    Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen, Soziologe Peter Ullrich, Psychologe und Aktivist Rolf Verleger und Helmut Hafner aus der Senatskanzlei sollten unter Moderation von Benno Schirrmeister, Redakteur der taz.nord, über Antisemitismus in Deutschland diskutieren. Von der jüdischen Gemeinde in Bremen ist niemand gekommen – man wollte nicht auf dem Podium sitzen und anstatt über Antisemitismus in Bremen/Deutschland zu sprechen, über Israels Politik streiten müssen. Und genau das passierte dann.

     

    Kappert-Gonther betonte den demokratischen Charakter des Staates Israel, Verleger hielt dagegen und warb für ein sichtbares Vorbildjudentum in Deutschland, das sich für Deutschland und gegen Israels Besatzerpolitik bekennt. Hafner berichtete von seiner Arbeit mit muslimischen Jugendlichen in Bremen und forderte gegenseitiges Verständnis während Ullrich seine Forschungsergebnisse zum Antisemitismus in der linken Szene Berlins erläuterte.

     

    Besonders bezeichnend: Noch während Ullrich die Dynamiken der klassischen pro-contra-Israel-Debatte beschrieb, zeigten sich genau diese in der Diskussion zwischen Podium und Publikum. Es gab wütende Zwischenrufe, unsachliche Kommentare, die Fähigkeiten des Moderators wurden angezweifelt. Niemand wollte dem anderen wirklich zuhören, vielmehr wurden Schuldeingeständnisse gefordert.

     

    Im Nahostkonflikt kann mittlerweile keine der Parteien in irgendeiner Weise als unschuldig bezeichnet werden. Anstatt aber die Strukturen von Antisemitismus und Ausgrenzung wahrzunehmen und sich einzugestehen, dass beide Seiten die Erzählung der anderen annehmen müssen, wird hier Kindergarten-mäßig gestritten. Gegenüber Israels Politik hat jede*r eine oft unreflektierte Meinung. Und so wurde hier der große Konflikt im Kleinen ausgetragen. Für die nächste Diskussion sollte die Lektüre von Marshall B. Rosenbergs Gewaltfreie Kommunikation zur Teilnahmebedingung erklärt werden.

  • Der taz-Salon brachte immerhin vier verschiedene Positionen. In dem Artikel von Frau Mayer-Schilf kommt nur eine, dafür ausführlich, zu Wort. Es ist zugleich die Meinung des Bremer Senats und der Redaktion der taz-Bremen. Sie besteht aus der ständigen Wiederholung der These, dass der zunehmende Widerstand gegen die Okkupationspolitik der israelischen Regierung antisemitisch sei. Das ist leider erneut ein Beispiel für einseitigen, regierungs-konformen Journalismus. Man muss sich fragen, wozu man sich die die Mühe gemacht hat, andere Positionen zum taz-Salon einzuladen, wenn das keinerlei Niederschlag im Blatt findet? Als Informationsquelle ist die taz Bremen mehr und mehr wertlos. Ich finde das nach wie vor sehr bedauerlich.

  • Einseitige taz-Bremen

    Die taz-Bremen bleibt ihrer einseitigen Berichterstattung in Sachen Antisemitismus und Israelkritik treu: die BDS (Boykott, Desinvestition, Sanltionen)-Bewegung wird antisemitisch genannt, es kommt beim Bericht über das taz-Podium nur die Grünen-Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther, die auch im Vorstand der DIG (Deutsch-Israelische-Gesellschaft) ist, zu Wort, eine Gegenmeinung, z.B. die von Rolf Verleger, wird gar nicht erwähnt (!) Dass der Bremer Senat Boykottmaßnahmen ablehnt, war zu erwarten und ist bedauerlich, denn ihm geht es nicht um die Menschenrechte der Palästinenser, sondern nur um die der jüdischen Israelis. Die BDS-Bewegung richtet sich gegen die israelische Besatzung palästinensischer Gebiete und fordert Gleichbehandlung von Palästinensern und Juden mit dem Ziel eines gerechten Friedens. Deshalb wird sie auch von mehreren jüdischen Organisationen unterstützt. Christliche Kirchen in den USA und Europa haben sich BDS angeschlossen sowie mehrere Regierungen, Banken, Pensionsfonds, die ihre Gelder aus Israel abgezogen haben, wenn diese die Besatzung unterstützen. BDS ist nicht mehr aufzuhalten.

    Claus Walischewski, Bremen