Videokunst von Halil Altindere in Berlin: Syrer zum Mars?
Ein Höhepunkt der Art Week Berlin: das Projekt „Space Refugee“ von Halil Altindere, zu sehen im Neuen Berliner Kunstverein.
Werke im Stil des sozialistischen Realismus sieht man eher selten im Neuen Berliner Kunstverein (nbk). Der kurdisch-türkische Videokünstler Halil Altindere hat solche Arbeiten aber mit einem spektakulären Coup in den Kunstraum eingeschleust. Die Heldenporträts der hochdekorierten Kosmonauten Mohamed Faris, Alexander Wiktorenko und Alexander Alexandrow sind Bestandteil des Projekts „Space Refugee“, das Halil Altindere zur Art Week Berlin beisteuert.
In „Space Refugee“ entwirft Altindere die Marsmission „Palmyra“, die den Opfern des Kriegs in Syrien eine neue Heimstatt und eine Zukunft ermöglichen soll.
Gewährsmann dieses Projekts ist Mohamed Faris. Der Fliegeroffizier flog tatsächlich 1987 mit Flug Sojus TM-3 ins All, blieb eine Woche auf der Raumstation MIR und flog dann gemeinsam mit seinen Begleitern zurück zur Erde. Faris wurde natürlich Volksheld in Syrien, bald auch Fliegergeneral. Seinen Sohn nannte er in Erinnerung an die Raumfahrtmission Mir – was auf Russisch zugleich Frieden und Welt bedeutet.
Faris verließ nach dem Umschlagen der Revolution in Syrien in einen Bürgerkrieg seine Heimat. „Er stand vor der Entscheidung, auf seine eigenen Landsleute Bomben zu werfen oder das Land zu verlassen. Er hat seinen Weg gewählt“, erzählt Altindere der taz.
Die Verheißungen eines Raumes ohne Grenzen
Der kurdisch-türkische Künstler suchte Faris in Istanbul auf, wo er jetzt lebt. Er interviewte ihn über das Leben im All und die Verheißungen eines Raums ohne Grenzen. Gesprächssequenzen mit Faris sowie Aufnahmen von Vorlesungen und Vorträgen des Raumfahrers in Istanbul verband Altindere mit Überlegungen anderer Raumfahrtexperten über die Machbarkeit von Flügen zum Mars und der Besiedelung des Planeten.
In Form eines 3-D-Films kann der Besucher an dieser Marsmission selbst teilnehmen. Man sieht den Marsrover namens „Palmyra“, stapft mit Kollegen in Raumanzügen über den kargen Boden des Planeten, erforscht Höhlen und Spalten und erblickt schließlich die halbkugelförmigen Behausungen der neuen Station. Ein Modell des „Palmyra“-Rovers und Raumanzüge sind auch Objekte der Ausstellung.
Space Refugee, Neuer Berliner Kunstverein, 15. 9. bis 6. 11.2016; Köfte Airlines, HAU2 in Berlin, bis 8. Oktober
Die Vorstellung der Eroberung des Weltalls durch Geflüchtete ist auf den ersten Blick faszinierend. Auf den zweiten türmen sich neue Probleme auf. Warum sollten ausgerechnet Refugees als Versuchskaninchen für die nicht ungefährliche und bislang von irdischen Lebewesen auch noch nie praktizierte Reise sein? „Was viele Geflüchtete derzeit auf dem Mittelmeer und auf den Landrouten erleben, ist gefährlicher als jede Marsmission“, wischt Altindere entschlossen diesen Einwand beiseite.
Der zerbrechliche Planet
Angesichts der aktuellen Bombardements von Faris’ Heimatstadt Aleppo auch durch russische Flieger wirkt der Rückgriff auf die sowjetische Raumfahrttechnologie, die einst den ersten Syrer ins All brachte, regelrecht zynisch. Faris, vor seiner Flucht bis zum Fliegergeneral in Assads Armee aufgestiegen, sei auch betrübt über den jetzigen Kriegseinsatz der einstigen Waffenbrüder, erzählt Altindere.
Selbst die Kosmonautenkollegen, mit denen Faris weiter in Verbindung steht, seien dem russischen Armeeeinsatz gegenüber kritisch eingestellt, verrät Altindere. Der Blick auf den zerbrechlichen Blauen Planeten hat manchen forschen Luftwaffenoffizier, sei er Amerikaner, Russe oder eben auch Syrer, zu einem Menschen gemacht, dem eine friedliche Koexistenz von Gesellschaften wichtig ist.
„Space Refugee“ ist eine nachdenklich machende Arbeit. Sie erinnert an die Verheißungen, die neue Räume, neue Kontinente und neue Technologien stets mit sich brachten. Sie erinnert aber auch an die Enttäuschungen, die mit der Eroberung neuer Territorien und der Etablierung der alten Ordnungen dort verbunden waren. Zugleich schwingt die Hoffnung mit, es dieses Mal besser zu machen. Und warum soll dieses Bessermachen überhaupt nicht gleich auf der Erde geschehen ohne den Umweg über den Mars?
Altinderes Projekt stellt auf sehr spielerische Weise grundsätzliche Fragen. Eine weitere Arbeit von ihm ist im und vor dem HAU2 in Kreuzberg zu sehen. Unter dem Titel „Köfte Airlines“ ließ der Künstler in der Türkei gestrandete Geflüchtete ein Passagierflugzeug erklettern, das sich dank Bildmanipulation mit ihnen in die Lüfte erhebt. „Köfte Airlines“ ist eine Art Vorspiel des komplexen Projekts „Space Refugee“. Beide Arbeiten zeigen, wie ein Künstler klug auf aktuelle politische Probleme eingehen kann und dabei die Fallen des Belehrenden, des Agitierenden und des Allwissenden souverän umgeht.
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