„Zeit der Vorurteile“

Wegbereiter Hamburgs Ex-Bürgermeister Beust über Muslim-Verträge

Ole von Beust

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61, CDU, war von 2001 bis 2008 Erster Bürgermeister in Hamburg und ist seitdem wieder als Rechtsanwalt tätig.

taz: Herr von Beust, Sie haben 2007 als erster deutscher Ministerpräsident Vertragsverhandlungen mit muslimischen und alevitischen Verbänden aufgenommen. Warum?

Ole von Beust: Der Beweggrund war, einen großen Schritt in Richtung Integration zu gehen. Es ist wichtig, dass die Muslime in Hamburg ihre Religion leben können und dass das geachtet wird. Im Gegenzug geben sie ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ab. Ein Geben und Nehmen als Beitrag zu Integration und Verständigung.

Also fördern solche Verträge Integration und Toleranz und nicht Parallelgesellschaften?

Natürlich. Parallelgesellschaften entstehen, wenn Menschen ihren Glauben nicht in einer von Staat und Gesellschaft respektierten Form ausleben können.

Was hat der Islam mit Islamismus zu tun?

Diese Frage stellte sich uns damals zum Glück so nicht. Die Entwicklung seitdem – Stichwort islamistischer Terror – hat dazu geführt, dass viele Menschen inzwischen Vorbehalte gegen den islamischen Glauben haben, ohne diesen wirklich zu kennen. Damals bestand noch eine große Offenheit, jetzt leben wir leider in einer Zeit, in der Vorurteile kultiviert werden.

Die CDU in Niedersachsen aber will die dortigen Verhandlungen mit Muslimen und Aleviten über einen Vertrag nicht länger mittragen. Können Sie das nachvollziehen?

Insofern, als Parteien immer gewählt werden wollen. Wenn die Stimmung in eine bestimmte Richtung geht, ist es für Politiker nicht besonders reizvoll, gegen eine Mehrheit, die vermutlich im Moment gegen solche Verträge ist, Politik zu machen. Vielleicht wäre es klug, die Verhandlungen ruhen zu lassen, bis sich die Lage hoffentlich wieder etwas beruhigt hat, statt jetzt zu sagen, sie wären gescheitert.

Der Dachverband der türkisch-islamischen Moschee-Gemeinden, Ditib, werde von der Regierung Erdoğ an „beeinflusst und gesteuert“, kritisieren Ihre Parteifreunde in Niedersachsen.

Die Nähe der Ditib zum türkischen Staat ist ja nichts Neues. Die Frage ist, zu welchen vertraglichen Vereinbarungen die Ditib sich bereit erklärt. Im Moment gibt es eine große Skepsis gegenüber dem türkischen Präsidenten Erdoğan, die zum Teil auch nachvollziehbar ist. Wichtig ist aber in erster Linie, wie verlässlich Ditib sich verhält.

Ist es richtig, das der Senat an den Verträgen festhält?

Ja.

Gehört der Islam zu Deutschland?

Muslime, die hier zum Teil schon seit Generationen leben, gehören selbstverständlich zu unserem Land.

Interview: Sven-Michael Veit