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Die WahrheitGift ist geil

Wissen ist Macht: Gifte lieben und ihnen zu vertrauen, ist ziemlich schlau und der neue Trend in der Toxikologie.

Schon kleine Kinder wissen das und entdecken behutsam ihr Lieblingsgift Foto: reuters

Sie lauern ständig und überall, schleichende Gifte und solche die mit Paukenschlag ertönen, wie bei dem alljährlichen Traditionsfischsterben an Havel oder Neckar. Nicht selten lösen sie Unwohlsein aus, Ängste, ja: Massenpanik. Das muss nicht sein. Man muss auf die Gifte zugehen, sie verstehen lernen, sich mit ihnen anfreunden. Hat man die Gifte erst einmal kennengelernt, kann man prima mit ihnen klarkommen.

Früher hatten es die Gifte leichter, da waren sie nur in Pflanzen oder Schlangen zu Hause. Die heutige Gifthaltung ist eher skandalös: unpersönlich, lebensfeindlich in anonymen Bottichen; unfreundlich und kalt in namenlosen Tanks. Da muss ein Gift doch verkümmern und tückisch werden! Angenommen, man würde selbst in einen wildfremden Container gesteckt und auf ein Abstellgleis geschoben, so wie das alle Tage geschieht: Wer käme sich da nicht abgeschoben vor?

Freilaufende Gifte hingegen sind besser dran – und nur glückliche Gifte sind effektiv. Viele von ihnen können sich erst in der Natur voll entfalten, wie uns turnusmäßige Ereignisse bei den Chemiegiganten lehren. Gifte darf man einfach nicht isolieren! Holzschutzmittel nennt man Holzschutzmittel, weil sie das Holz schützen sollen. Sie heißen absichtlich nicht Menschenschutzmittel.

Bakterien? Aufessen!

Wir sollten also auf die Gifte zugehen, eins mit ihnen werden, damit sie ein Teil von uns sind. Reste von alkalischen Reinigungsmitteln in Diätlimonaden? Runterschlucken. Nur so sind sie ein für alle mal vom Tisch! Salamiverseuchte Bakterien? Aufessen! Vor allem aber sollten Gifte demokratischer verteilt werden und grundsätzlich in allen Lebensmitteln drin sein, sonst kriegen wieder nur die feinen Leute was davon ab. Ein bisschen Blei in den Knochen, ein, zwei Nitrate – trägt jeder die Last mit, haben alle was davon.

Wir sollten auf die Gifte zugehen, eins mit ihnen werden

Es beginnt ja schon bei der Einleitung, nämlich bei der Einleitung von fragwürdigen Substanzen in Gewässer, und geht dann weiter in die Tiefe, indem man Gefahrstoffe verklappt oder auch einnieseln lässt wie bei den großen Asbestleistungen des 21. Jahrhunderts.

Blonde Gifte und mehr

Zeitungen im Übrigen sollten den Giften eine tägliche Seite angedeihen lassen, ein eigenes Ressort wie Sport oder Vermischtes. Schließlich werden wir schon in wenigen Jahren damit beschäftigt sein, unsere Körper rund um die Uhr zu entgiften. Eine eigene Giftseite mit täglichen Katastrophen, Spannendem über blonde Gifte wie Helene Fischer und mit dem aktuellen Giftspritzenkommentar von Horst Seehofer – so etwas wollen die Leute lesen.

Wissen ist Macht. Wenn es dann in der Nachbarschaft wieder einen Tanklaster aus der Kurve trägt, kann derjenige milde lächeln, der weiß, dass es leicht ist, auf dem Teppich zu bleiben, wenn dieser aus Öl ist. Man könnte auch anderswo auf spannende, neue Gifte treffen, mit ein bisschen Glück findet man sogar ein Lieblingsgift. Man muss sie nur alle richtig kennenlernen und kann dann sogar eine Giftpatenschaft übernehmen. Man sollte schließlich nie vergessen, dass Gift im Englischen „Geschenk“ bedeutet.

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1 Kommentar

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  • Eine gewisse goethesche Genialität ist Thomas C. Breuer nicht abzusprechen, finde ich. Er hat auf einen Schlag 10, 20, 100 verschiedene Glossen verfasst und so jede Menge Bäume und Flüsse gerettet, Ozonlöcher gestopft und LeserInnen gebunden. "Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen", das wusste schon der gar nicht so geheime Rat.

     

    Ich würde sehr hoch darauf wetten, dass es auch unter den taz-LererInnen eine nicht unerhebliche Anzahl von Leuten gibt, die beim Lesen der heutigen taz-"wahrheit" in Gedanken für jedes einzelne "Gift" die Bezeichnung ihres aktuellen humanoiden Lieblingsfeindes eingesetzt haben. Gefühlt hat Breuer ihrer Ansicht nach über AfD-Wähler geschrieben, über Kernkraftproduzenten, Investmentbanker und sonstige Kapitalisten aller Art, (US-)Amerikaner, Juden oder Muslime, Journalisten, Juristen, Behördenmitarbeiter oder auch Mütter und Väter.

     

    All diese Leute sind für Irgendjemanden das blanke Gift. Zumindest gefühlt. Sie kosten unendlich viel Kraft und Nerven und sie werden oft sogar gefürchtet, ohne dass man sie tatsächlich kennt. Was auch so bleiben muss, wenn man sie hassen will. Weil: Wenn man nach Gründen fragt, kapiert man sie vielleicht. Und was wird dann aus jener Energie, die man zur Selbstbehauptung braucht?

     

    Anders als Menschen haben Gifte keinen eigenen Willen. Man braucht also kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn man nicht danach fragt. Diktatoren und Demagogen aller Herren Länder machen sich diesen Umstand regelmäßig zunutze, indem sie Menschen als "Abschaum" bezeichne oder als "Welle", als "Flut" oder oder eben als "Gift", das einem angeblichen "Volkskörper" schadet – der seinen Kopf gerade nicht dabei hat, sondern separiert. Weswegen er auch nicht begreifen kann, wie blöd er ist.