Up ewig ungedeelt

Nordland II Das Fürstentum Schleswig und die Grafschaft Holstein waren einst zwei Mini-Staaten. Geklappt hat die Vereinigung bis heute nicht

Politik: Im Parlament sind durch den SSW oft mehr Parteien als im Rest der Republik, zurzeit sechs. Die Landesgeschichte ist geprägt von Polit-Skandalen, darunter die Barschel-Affäre in den 1980er-Jahren und der „Heide-Mord“ 2005 sowie die gescheiterte Wiederwahl der Ministerpräsidentin Heide Simonis.

Das lohnt sich: Weltnatur­erbe Wattenmeer, Hochseeinsel Helgoland, Hansestadt Lübeck, Eider-Treene-Sorge-Gebiet.

Besser meiden: die Autobahn 7 (Dauerbaustelle), Kiel während der Kieler Woche (rummelig), St. Peter-Ording in der Hochsaison (teuer) und Sylt. EST

von Esther Geißlinger

Schleswig-Holstein ist – das verrät die Landeshymne – meerumschlungen: Im Westen liegt die Nord-, im Osten die Ostsee, dazwischen ein Gebiet, das eher lang als dick ist und das die Landmasse, die jenseits von Hamburg mächtig in die Breite geht, mit dem zerfransten Gebilde aus Schären, Klippen und Inseln verbindet, die Skandinavien ausmachen. Wer Schleswig-Holstein anschaut, sieht eine Brücke.

„Heerweg“ oder „Ochsenweg“ heißt die zentrale Nord-Süd-Achse, an der wie Perlen auf einer Schnur die historischen Städte liegen: die Handelsstadt Flensburg, der Fürstensitz Schleswig, die Festung Rendsburg, die Industriestadt Neumünster, der Kurort Bad Bramstedt. Historischer Endpunkt des Ochsenweges, der sich jenseits von Rendsburg in mehrere Routen verzweigt, war der große Viehmarkt in Wedel auf Höhe von Hamburg.

Schleswig und Holstein waren einst zwei Mini-Staaten: Das Fürstentum Schleswig, das von den dänischen Städten Kolding und Esbjerg im Norden bis zur Eider im Süden reichte, war bis 1866 Teil des dänischen Königreichs. Im Süden schloss sich die Grafschaft Holstein an, die im Verlauf der Geschichte Mitglied im Fränkischen Bund, Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und Deutschen Bund wurde. Zum deutschen Teil gehörte auch die sogenannten Bauernrepublik Dithmarschen im Südwesten, deren Lehnsherren eine gewisse Selbstregierung erlaubten.

Beide Landesteile sollen laut einer Urkunde aus dem Jahr 1460 „up ewig ungedeelt“ sein – richtig geklappt hat die Vereinigung bis heute nicht. Nicht nur zwischen Nord und Süd, sondern auch zwischen dem armen Westen und dem reichen Osten verlaufen unsichtbare Grenzen. An der milden Ostsee liegen mit Kiel und Lübeck die größten Städte des Landes, und im Süden finden sich in den Speckgürteln um die Hansestädte Hamburg und Lübeck Gemeinden, die zu den einkommensstärk­sten der Republik zählen.

Der Nordwesten dagegen musste sich jahrhundertelang mit schlechten Böden, Überschwemmungen und Sturmfluten – Manndränken – herumschlagen. Gerade auf den Inseln und Halligen war das Leben hart. Im Norden mischten sich von alters her die Kulturen und Sprachen: Bis heute wird Hoch- und Plattdeutsch, Dänisch und Friesisch gesprochen. Dass der dänischen Minderheit besondere Rechte eingeräumt werden – eigene Schulen und die Befreiung ihrer politischen Vertretung von der Fünf-Prozent-Klausel – ist bis heute immer wieder ein Streitthema der Landespolitik.

Das 19. Jahrhundert war blutig und kriegerisch: Die Franzosen besetzten das wohlhabende Schleswig-Holstein, um Druck auf das Dänische Reich auszuüben. Preußen, Russland und Schweden schlugen zurück – die siegreichen Truppen besetzten im „Kosakenwinter“ 1813 das Land. Wenige Jahre später begann der Kampf um Schleswig-Holsteins Eigenständigkeit. Die Entscheidung fiel 1864 bei einer Schlacht an den Düppeler Schanzen. In der Folge fand sich das Land als preußische Provinz wieder. Nach dem Ersten Weltkrieg musste das Deutsche Reich Gebiete abtreten. Das alte Fürstentum Schleswig wurde durch die heutige deutsch-dänische Grenze geteilt – das Ergebnis einer Volksabstimmung aus dem Jahr 1920.

Schon zwei Jahre vorher war in Kiel ein Stückchen Weltgeschichte geschrieben worden: Im November 1918 hissten die Besatzungen mehrerer Schiffe der kaiserlichen Marine die rote Flagge: das Zeichen zur Revolution. Erst in Kiel, dann im ganzen Land entstanden Räte, neben Arbeiterräten in den Städten auch Bauernräte auf dem Land. Ihre Herrschaft dauerte bis Anfang 1919, bis zu demokratischen Wahlen.

Obwohl die SPD gut abschnitt, zeigten sich bald nationale und nationalistische Strömungen: Der „Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund“, 1919 gegründet, war ein Vorläufer der ­NSDAP, die es ab 1925 im Land gab und die 1932 eine Mehrheit bei den Wahlen einfuhr. Obwohl die großen Städte wie Kiel mit seinen Werften und Lübeck bombardiert wurden, überstanden weite Teile Schleswig-Holsteins den Krieg fast unbeschadet – sicher ein Grund dafür, dass sich die letzte „Reichsregierung“ unter General Dönitz nach Flensburg zurückzog. Während der Rest das Landes besetzt wurde und am 8. Mai kapitulierte, herrschte in einer Enklave im Flensburger Stadtteil Mürwik das Tausendjährige Reich einfach weiter, bis Dönitz am 23. Mai verhaftet wurde.

Für Schleswig-Holstein brachte die Flüchtlingswelle des Jahres 1945 eine gewaltige Umwälzung durch Hunderttausende von Neubürgern, die teils in den Häusern der angestammten Bevölkerung, teils in „Nissen-Hütten“ untergebracht wurden. Parallel begannen die Engländer mit der Neuorganisation des Landes, sorgten für die Gründung neuer Parteien und Zeitungen und tauschten die Verwaltungen in Gerichten und Ämtern aus.