Bunt ist allein die Opposition

taz: Herr Bütikofer, ist das jetzt eine starke große Koalition?

Reinhard Bütikofer: Zahlenmäßig sind wir drei Oppositionsparteien jedenfalls deutlich stärker als die FDP zu Zeiten der letzten großen Koalition 1969. Programmatisch haben die beiden Großen bislang lediglich klar gemacht, dass die SPD Angela Merkels neoliberales „Durchregieren“ nicht akzeptieren kann. Und personell bin ich bislang auch nicht beeindruckt. Da sucht die SPD verzweifelt nach einem, der das Auswärtige Amt füllen kann. Doch darf man diese große Koalition natürlich nicht von vornherein abschreiben. Bei den Problemen, denen sie sich zu stellen hat, ist Stärke eine relative Frage. Stärker ist der bessere Vorschlag.

Fürchten Sie einen Grünenfresser Peer Steinbrück?

Ich finde ihn mit diesem Begriff falsch beschrieben. Steinbrück war als Ministerpräsident ein schwieriger, aber auch über schwierige Phasen verlässlicher Koalitionspartner in Nordrhein-Westfalen. Kämpfen muss man auch gegen die vermeintlich Grünen-geneigten SPD-Politiker, die sich im Zweifel dann hinter den Konservativen verstecken. Ich bin aber gespannt, wie die SPD künftig ökologische Innovation und Industriepolitik zusammendenken will. In unserer letzten gemeinsamen Regierungsphase wurde das ja mit denen sehr schwierig.

Vermutlich wird Ökologie schlicht nicht mehr auf die Tagesordnung kommen. Und dies wird die kleinste Oppositionspartei nicht ändern.

Eine Regierung, die sich etwa der weit verzweigten Frage der Ölabhängigkeit nicht stellt, wird sehr angreifbar sein. Ökologie ist möglicherweise nicht auf der großkoalitionären Agenda, aber sie ist auf der gesellschaftlichen Agenda. Die Menschen sind weiter als Union und SPD. Das werden sie spüren.

Werden nicht künftig alle auf das Koalitionsgezerre gucken und die Grünen vergessen?

Ich werde nicht klagen, dass wir die Kleinsten sind und die Journalisten uns nicht mehr beachten. Ich gehe davon aus, dass die Koalition eine Menge Trara machen wird, klar. Aber in der Opposition kann es nicht darum gehen, wer am meisten schreit. Der wirkliche Wettbewerb läuft um Fragen der Balance, etwa zwischen ökologischer Verantwortung und wirtschaftlicher Dynamik oder der Synthese, etwa von Modernisierung und Gerechtigkeit. Da stehen Grüne zwischen den beiden Einäugigen, FDP und Linkspartei, gut da.

Der Koalitionsvertrag wird jetzt für vier Jahre festlegen, was passiert. Ansonsten werden die Volksparteien sich nur noch belauern. Ist das keine Horrorvorstellung?

Wieso? Zum Kritisieren bietet das doch Stoff. Aber es wird auch gar nicht möglich sein, einen Koalitionsvertrag auszuarbeiten, der bis zum letzten Komma alles verbindlich regelt. Die Ereignisse selbst werden die Regierung zum neuen Handeln zwingen. Auch wir sind damals beim rot-grünen Verhandeln einer Perfektionsillusion aufgesessen – der Atomausstieg etwa kam anders als gedacht.

Rechnen Sie mit Wahlen in zwei oder in vier Jahren?

Fragen Sie mich noch mal, wenn die ihren Vertrag ausgehandelt haben. Bis jetzt gibt es jedenfalls wenig Vertrauen zwischen den handelnden Personen. INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN

taz: Die Linkspartei sieht nur einen „Frisurenwechsel im Kanzleramt“. Machen Sie es sich da nicht zu einfach?

Gregor Gysi: Natürlich geht es um mehr – aber das mit dem „Frisurenwechsel“ ist auch eine zulässige Charakterisierung. Die große Koalition verhindert den notwendigen Politikwechsel in Deutschland. Es wird eine Fortsetzung von Agenda 2010, von Hartz IV, von Sozial-, Renten- und Lohnkürzungen geben. Der Wählerwille einer Mehrheit jenseits von Union und FDP wird nicht in politisches Handeln umgesetzt. Die großen Parteien, die das Schicksal Deutschlands davon abhängig machten, ob man CDU oder SPD wählt, machen jetzt einfach gemeinsame Sache. Hier führt die Politik die Bürger vor.

Eine Frau aus dem Osten wird Bundeskanzlerin – das ist keine Zäsur in der deutschen Geschichte?

Das bedeutet ein Stück Normalisierung hinsichtlich der Geschlechterfrage in Deutschland, das will ich gar nicht leugnen. Aber allein, dass Angela Merkel eine Frau ist, wird die Politik nicht gänzlich verändern. Natürlich wäre es mir persönlich lieber, Merkel wäre eine Linke und würde mehr zu ihrer ostdeutschen Herkunft stehen.

Von CSU bis zur Linkspartei gibt es einen Konsens: Das Land steht vor großen Problemen, von der Dauerarbeitslosigkeit bis hin zur Krise der öffentlichen Haushalte. Ist es da nicht gut, dass die beiden Volksparteien gemeinsam regieren?

Es geht ja nicht nur darum, dass, sondern auf welche Art die Probleme des Landes gelöst werden. Union und SPD wollen ihrer bisherigen neoliberalen Logik weiter folgen: Die Wirtschaft, die gesamte Gesellschaft sollen durch Sozialabbau und Lohnsenkungen saniert werden. Die Logik der Linkspartei ist eine andere: Deutschland wird nur gesunden, wenn mehr soziale Gerechtigkeit herrscht und die Löhne wieder steigen. Die neoliberale Logik ist widerlegt worden, unsere Logik braucht ihre Chance.

Ist eine große Koalition nicht sozialer als viele denken? Die ersten Festlegungen lauten: Tarifautonomie bleibt erhalten, Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge werden nicht besteuert.

Ich möchte nicht zu anmaßend sein, aber für diesen Stillstand beim Abbau von Arbeitnehmerrechten ist die Linkspartei verantwortlich. Allein das zeigt, wie wichtig das Angebot politischer Alternativen ist. Eine große Koalition birgt jedoch die Gefahr in sich, solche Alternativen zu ersticken. Grundlegende Reformen, etwa bei Rente und Gesundheit, werden jetzt wohl ausbleiben.

Wie wird die Opposition der Linkspartei gegenüber der großen Koalition aussehen?

Sehr entschieden. Wir wollen die große Koalition stellen, im Detail und grundsätzlich. Unsere ersten parlamentarischen Initiativen werden sich mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, Veränderungen beim Arbeitslosengeld II und der Etablierung eines Bundestagsausschusses „Neue Bundesländer“ beschäftigen. Darüber hinaus werden wir darum kämpfen, dass trotz des drohenden Stillstands in der großen Koalition die Debatte über die großen Reformthemen dieses Landes nicht aufhört. Die Linkspartei wird für Leben im Bundestag sorgen.

INTERVIEW: JENS KÖNIG

taz: Herr Gerhardt, eine Frage, die gestern auch Angela Merkel beantworten musste: Sind Sie ein glücklicher Mann?

Wolfgang Gerhardt: Ja, ich bin ein glücklicher Mann und ich fühle mich wohl.

Auch mit den Vereinbarungen, welche die große Koalition jetzt ausgehandelt hat?

Mit denen fühle ich mich schon weniger wohl. Diese Politik ist nichts weiter als die Fortsetzung der sozialdemokratischen Politik, nur eben unter Angela Merkel. Für die FDP ist schwer nachvollziehbar, was sich bei den Koalitionsverhandlungen ereignet hat.

Was trifft Sie so?

Dass die Unionsparteien ihre Positionen so schnell aufgegeben haben. Die Koalitionsverhandlungen sind noch nicht einmal richtig angelaufen, da geben CSU und CDU schon die Idee der betrieblichen Bündnisse preis. Man kann doch nicht ernsthaft glauben, dass Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften zu einer vernünftigen Lösung kommen, nur weil man sie noch einmal zusammen an einen Tisch setzt. Das kann nicht funktionieren.

Auch eine radikale Gesundheitsreform wird es nicht geben.

Auch da ist das Handeln der Union ein kleines Mirakel für mich. Da haben sich Angela Merkel und die Union auf einem Parteitag schmerzvoll das Konzept der Kopfpauschale abgerungen und jetzt stellt sie das Konzept ohne große Gegenwehr zur Disposition. Normalerweise bespricht man solch schwere Brocken am Ende der Verhandlungen, ich frage mich, wie sehr diese Themen der Union am Herzen gelegen haben. Nicht anders sieht es mit der Steuerreform aus. In den Vereinbarungen findet sich bisher nichts Konkretes zum Thema Steuervereinfachung.

Klingt da Enttäuschung durch? Schließlich wollte die FDP mit der Union ja einmal eine Liebesheirat eingehen.

Aber die Wahl ist vorbei. Wir sehen unsere Rolle jetzt darin, im Bundestag innovative Politikkonzepte einzubringen und diese gegen den Stillstand der großen Koalition zur Debatte zu stellen. In dieser Rolle sind wir sicherlich konkurrenzlos.

Allein werden Sie gegen Schwarz-Rot kaum etwas ausrichten können. Können Sie es sich vorstellen, gemeinsam mit Grünen und Linkspartei zu opponieren?

Ich sehe keine Notwendigkeit für Bündnisse in der Opposition. Wir haben normalen Kontakt mit allen Parteien, aber ich wüsste nicht, warum wir jetzt auch in der Opposition noch eine Art von Koalition aufmachen sollten.

Werden Sie ohne Skrupel gegen die einstige Verbündete Angela Merkel Opposition machen?

Wir führen keinen Kampf gegen bestimmte Personen, sondern gegen eine bestimmte Politik. Und wenn diese Koalition dieselbe Schmalspur-Agenda weiter verfolgt, die schon der Exkanzler verfolgt hat, dann werden wir klar und deutlich reagieren. Wer sagt das? Wir sind Opposition von Anfang an – gegen eine große Koalition. Das schließt alle Mitglieder des Kabinetts ein. Aber das wird keine Auseinandersetzung wie im Boxring, sondern mit dem Florett der politischen Diskussion und den überzeugenderen Argumenten.

INTERVIEW: DANIEL SCHULZ