heute in bremen
: „Die EU ist eher Brandstifter“

Vortrag Olaf Bernau erklärt die Hintergründevon Flucht und Migration aus Afrika

Olaf Bernau

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47, Soziologe, aktiv bei Afrique-Europe-Interact und Mitarbeiter der gewerkschaftlichen Antidiskriminierungsstelle.

taz: Herr Bernau, was treibt Menschen aus Afrika nach Europa?

Olaf Bernau: Es gibt nicht den einen Fluchtgrund, sondern eine Vielfalt. Das unterscheidet sich teils nach Regionen, teils nach Ländern. Im Osten Kongos herrscht beispielsweise Krieg, in Westafrika sind es in erster Linie die ökonomischen und sozialen Verhältnisse, die zu einer starken Perspektivlosigkeit führen. Auch der Klimawandel spielt eine ganz zentrale Rolle. Man kann also nicht scharf zwischen ArmutsmigrantInnen und politischen Geflüchteten trennen, die Übergänge sind fließend.

Welche Rolle spielen IWF und Weltbank?

Mit ihren Strukturanpassungsprogrammen seit Anfang der 1980er-Jahre haben sie viel Schaden angerichtet. Sie verordnen darin etwa, dass der Haushalt eines Landes zusammengestrichen wird. Der Staat wird wie in Bremen zur absoluten Haushaltsdisziplin gezwungen, worunter vor allem die soziale In­frastruktur leidet.

Mit welchen Folgen?

In Westafrika ging daraufhin die Anzahl der Schulbesuche stark zurück. Privatisierungen waren eine weitere Folge. In Mali wurde die einzige Eisenbahnlinie an ein kanadisches Unternehmen verkauft. Diese wurde daraufhin fast komplett auf Güterverkehr umgestellt. Viele LandwirtInnen und KleinhändlerInnen kamen nicht mehr in die nächsten Städte. Auf einen Schlag wurden so Zehntausende Menschen vom Zugang zu lokalen Märkten abgeschnitten.

Hat das Einfluss auf die lokalen Märkte?

Im Zuge dieser Programme wurden auch Marktöffnungen erzwungen. Europäische Produkte, vor allem landwirtschaftliche, haben so die afrikanischen Produkte vom Markt gedrängt, weil sie fast zollfrei auf die lokalen Märkte geworfen wurden. Durch die derzeit zwischen der EU und zahlreichen afrikanischen Ländern verhandelten Freihandelsabkommen könnte die EU könnte dann 80 Prozent ihrer Exporte in Afrika zollfrei verkaufen, obwohl gerade mal zehn Prozent der afrikanischen Produkte als konkurrenzfähig gelten.

Welche Rolle spielen lokale afrikanische Regierungen?

Die oft korrupten Regierungen sind Türöffner für westliche Interessen. Einseitige Schuldzuweisungen sind daher nicht sinnvoll. Die reichen Indus­trienationen tragen daran natürlich eine Schuld, aber afrikanische Eliten ebenfalls. Man muss also die reichen Länder Europas in ihrer knallharten Interessenpolitik zurückdrängen. Aber zeitgleich sollten auch die Bevölkerungen in Afrika darin unterstützt werden, demokratisch legitimierte Regierungen zu bilden.

Interview: Sebastian Krüger

11 Uhr, Haus der Wissenschaft, Sandstraße 4/5