KANADISCHE KARTOFFELN Frisch geschält – die New Yorker DJ Veronica Vasicka und ihr Gespür für Subkultur, Geschichte und Elektronik
: Detektivin der minimalen Welle

Veronica Vasicka hat ihr einstiges Außenseitertum in Stärke umgewandelt – cool, mit Analog-Tonband Foto: Berlin Atonal

von Sophie Jung

Tona Walt Ohama saß damals, Anfang der Achtziger, in einer kleinen Holzscheune unterhalb der weiten Felder der elterlichen Farm irgendwo in den Weiten des westkanadischen Bundesstaats Alberta. Dann nahm er sein AKG-D190-Mikrofon in die Hand und sang: „My name is Ohama, and I live on a potato farm in Western Canada.“

So legte Omaha, Sohn japanischer Einwanderer und des gekrönten „Potato-King of the World“ 1967 los und mischte den Gesang zusammen mit all seinen Synthesizern, Drummaschinen, Samplern und Vocodern eine Synthie-Pop-Wildnis auf ein analoges Tape. Er schuf Musik, die so wohl nur zwischen endlosen Bodenranke-Landschaften und einem gut ausgestatteten Heimstudio entstehen konnte. Aus der Musik klar zu hören: Paranoia und Selbstironie, Isolation und Ausbruch mit flach-bassigen Meditations-Parts und Heavy-Metal-haften Frickelsoli auf einem Casio-Keyboard.

Erst 20 Jahre später veröffentlicht Veronica Vasicka Ohamas kultig-kurioses Album „The Drum“ neu. Diesmal auf Vinyl, remastert und online zugänglich. Vasicka betreibt seit 2005 in New York das Label Minimal Wave. Tona Walt Ohama ist einer von 56 Künstlern aus den späten Siebzigern und mittleren Achtzigern, die Vasicka aus den Tiefen einer Zeit vor dem Internet zurück in die Gegenwart geholt hat.

Die Geschichte von Vasickas mittlerweile sehr erfolgreichem Label ist so persönlich, wie die Storys der vielen unbekannten Musiker, die die 36-jährige New Yorkerin unentwegt aufspürt. Aus einem Gefühl von Fremdsein und Anderssein während ihrer Jugend in der Upper East Side drang sie immer tiefer in die verschlossenen Klangwelten von Weirdos und Grenzgängern aus den Siebzigern und Achtzigern ein. Sie begann deren Platten und Tapes zu sammeln, kleidete sich schwarz, lebte als zurückgezogener Freak, der sich in den gegenwartsgläubigen Neunzigern lieber zu dem schweigenden Publikum von Gothic-Konzerten gesellte. Als studierte Fotografin blieb sie erfolglos und jobbte sich als Assistentin und Aushilfe Anfang der Nullerjahre durch die harte New Yorker Arbeitswelt.

Den Sound und sein Lebensgefühl aber behielt sie. Durch Zufall lernte sie Frank Prisinzano kennen, der den Piratensender East Village Radio betrieb. 2003 startete sie dort ihre eigene Sendung. Und spielte ihre Songs: Cold Wave, Post-Punk, Industrial oder Synthie-Pop. In dem Versuch, die verstaubten Genres ihres über die Jahre angewachsenen Archivs mit einem Begriff zu benennen, entschied sich Vasicka für die Bezeichnung Minimal Wave.

Minimal Wave ist mittlerweile zu einem Vollzeitprojekt herangewachsen: In der Radiosendung fand Vasicka nicht nur ein Sprachrohr für ihre bis dahin stille Musikneigung, sie wurde auch zur Missionarin von unbekannten Sounds. Die Resonanz ihres Publikums war derart überwältigend, dass sie begann, die alten Tapes und Platten zu remastern und neu zu verlegen. Ihr Label „Minimal Wave“ wurde zur Plattform. Zudem entpuppte sich Vasicka als extrem fähige DJ. Die Art, wie sie in ihrer Sendung sperrigste Experimantalklänge mit funky Synth-Pop zu tiefen, tanzbaren Sound-Tripps verarbeitet, ist einzigartig.

Mittlerweile legt sie mit ihren eigenwilligen Sets längst über East Village Radio hinaus auf. Das MoMa PS1, die Art Basel und das Festival Atonal Berlin buchen sie. Und da Vasicka trotz ihrer Klang-Archäologie fest in der Gegenwart verankert bleibt, betreibt sie auch das Sublabel Cititrax, das mit 25 Künstlern – darunter An-i oder Broken English – eine zeitgenössische Interpretation von Minimal Wave verbreitet.

Die Geschichte von Vasickas Label ist so persönlich wie die Storys der vielen unbekannten Musiker, die die 36-jährige New Yorkerin unentwegt aufspürt

Vasicka scheint also eine erfolgreiche Unternehmer-Künstlerin zu sein, die ihr einstiges Außenseitergefühl in Stärke umgewandelt hat. Doch vor allem sieht sie sich als Detektivin. Sie jagt den längst vergessenen Sounds hinterher, spürt die Künstler auf und erfährt ihre Geschichten. Aus den einzelnen Erzählungen der MusikerInnen, spinnt sich schließlich auch das Bild dieser vergangenen Zeit zusammen, in der diese obskuren Elektronikexperimente entstanden sind.

Zu dieser seltsamen Epoche gehört nicht nur das Auftauchen industrialisierter Landwirtschaft mit Kartoffelkönigen in Kanada, sondern auch die Rezession in der Thatcher-Ära Großbritanniens oder die nukleare Bedrohung während des Kalten Kriegs: Andy Oppenheimers Band Oppenheimer Analysis ist eine der ersten Formationen, die Vasicka 2005 unter Minimal Wave wieder veröffentlicht hat.

Oppenheimer war von Haus aus Atomwaffenexperte. Die Songs soll er immer auf dem Weg zu seinen wissenschaftlichen Meetings komponiert haben. Irgendwo zwischen Politik, Naturwissenschaft und Zynismus verfasste Oppenheimer den eingängigen Popsong „The Devil’s Dancer“.

Vasicka hat ihn dankenswerterweise veröffentlicht und legt ihn gern mal auf.

Veronica Vasicka,live, Samstagabend, Festival Berlin Atonal