Whistleblower beklagen Schweigen

Doping Die Stepanows kritisieren IOC, Wada und die russischen Athleten vehement

Sie redete und durfte nicht nach Rio – Julia Stefanowa, 800-Meter-Läuferin Foto: Michael Kappeler/dpa

Aus Berlin Tom Mustroph

Die Whistleblower Julia und Vitali Stepanow meldeten sich am Montag mit einer Videokonferenz vor 35 zugeschalteten Journalisten. Sie sprachen über den Hackerangriff auf Stepanowas Mail-Account und ihr Konto beim Antidopingmeldesystem Adams und wiesen noch einmal auf den Doping­sumpf in Russland hin sowie auf das haarsträubende Fehlverhalten des Internationalen Olympischen Komitees IOC und der Weltantidopingagentur Wada.

Wer in Russland sauberen Sport betreiben wolle, habe es schwer: „Wenn du Fehlverhalten siehst und dich daran nicht beteiligen willst oder wenn du aussteigen willst, dann gibt es in Russland keinen Ort, an den du gehen kannst. Du musst im Gegenteil befürchten, dass deine Karriere beendet ist, ja selbst ein Job bei Gazprom, den du hast, um deine Familien zu versorgen, steht dann auf dem Spiel“, fasste Vitali Stepanowa, Exmitarbeiter bei der russischen Antidopingagentur Rusada, die Lose-lose-Situation für russische Sportler zusammen.

Umso enttäuschter zeigte sich das Paar von den jetzigen russischen Olympioniken. „Daria Klischina lebt und trainiert in den USA. Ich kenne sie. Ich hatte die Hoffnung, dass sie aussagt. Aber sie hat sich für das Schweigen entschieden“, sagte Julia Stepanowa traurig.

Für die Stepanows gehört die Weitspringerin, die sich über das Weltsportgericht CAS in den Weitsprungwettbewerb von Rio eingeklagt hat, zu jenen, die trotz ihres aktuellen Trainingsortes in den USA vom Dopingsystem in der Heimat wussten und auch davon profitierten. „Wer drei Jahre in dem System drinsteckt, der muss einfach mitkriegen, wie es läuft“, meinte Vitali Stepanow trocken. Dass aber weder Klischina noch die während der Brustschwimmwettbewerbe ausgebuhte Schwimmerin Julia Jefimowa trotz Wohn- und Arbeitsort USA dem System in der Heimat die Treue hielten, enttäuschte ihn sehr.

Stepanow kritisierte, dass die Wada selbst ein Jahrzehnt nach ihrer Gründung noch nicht einmal ein Betreuungsprogramm für Aussteiger aus dem Dopingsystem aufgebaut habe. „Ich war davon ausgegangen, als ich 2010 die ersten Informationen übermittelte. Aber sie haben uns nur gesagt, wir sollten zuallererst an unsere Sicherheit denken“, blickte er zurück. Viele der Informationen, die aktuell zu einem Teilausschluss russischer Sportler von den Spielen führten, waren schon vor London 2012 bekannt. Wada und IOC, so Stepanow, spielten aber auf Zeit.

Dass das IOC Julia Stepanowa nicht an den Wettkämpfen in Rio teilnehmen ließ, obwohl der Weltleichtathletikverband sie wegen ihrer Verdienste um die Aufdeckung der Machenschaften in Russland teilnehmen ließ, kommentierte die Athletin so: „Das sendet das Signal: Den Mund aufmachen lohnt sich nicht. Wer zu den Betrügereien hingegen schweigt, darf zu den Spielen.“ Dass sie nicht in Rio ist, sieht sie mittlerweile gelassen. „Vom IOC war nichts anderes zu erwarten“, meinte sie knapp. Und angesichts der Meldungen über Überfälle und Diebstähle, unter denen Olympioniken leiden, sind beide froh, nicht dort zu sein.

Um ihre Sicherheit fürchten müssen sie nach den Hackerangriffen dennoch. „Erst konnte ich nicht mehr in meinen E-Mail-Account einloggen. Da habe ich mir noch nicht viel gedacht. Als aber auch mein Adams-Account nicht aufging, war klar, das hier etwas anderes dahintersteckt“, rekonstruierte sie den Ablauf.

Die beiden Kronzeugen des russischen Dopingvertuschungssystems wechselten daraufhin ihren Wohnort. Und wie sie auf der Videokonferenz mitteilten, baten sie bereits Freunde, sich um ihren kleinen Sohn zu kümmern, falls ihnen etwas zustößt. „Wenn uns etwas passiert, dann sollten Sie wissen, dass das kein Unfall ist“, sagte Stepanowa in die Runde der zugeschalteten Journalisten.