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Nur noch Augen zu und durch

Enttäuschung Leere Bänke, grünes Wasser, kaum Medaillen – Rio 2016 ist schon jetzt ein voller Misserfolg

Gähnende Leere vor Bogenschießen: Die Spannung im Sambadrom scheint sich in Grenzen zu halten Foto: Alessandra Tarantino/ap

Aus Rio de Janeiro Andreas Behn

Noch hofft das olympische Brasilien. Einige Gold-Chancen gibt es noch, und Überraschung sind immer drin. Ebenso die Organisatoren der Spiele. Lauter kleine Pannen, aber im Gros klappt alles, trotz des lauten Unkens im Vorfeld. Dennoch, der olympischer Traum sieht anders aus. Während in den Stadien vor oft gähnend leeren Rängen gerannt und geschwitzt wird, genießen die Brasilianer die olympischen Boulevards als neue Freizeitgestaltung. Und verdrängen das Bangen vor dem Tag danach.

Die Medaillenausbeute der Gastgeber nach neun olympischen Tagen ist mager. Insgesamt sechs Edelmetalle, davon gerade mal ein Gold. Das Planziel, im Gewinnerspiegel unter die besten zehn Staaten zu gelangen, ist in weite Ferne gerückt. Das Schwimmen war eine einzige Enttäuschung, kein Athlet Brasiliens kam aufs Treppchen. Auch der Segler Robert Scheidt, Brasiliens Rekord-Olympiasieger, patzte und kann im Laser höchstens noch Bronze holen. Nach dem Wochenende lag Brasilien nur auf Platz 28 des Medaillenspiegels.

Nun ruhen die Medaillenhoffnungen auf den Mannschaftssportarten, die erst am Ende entschieden werden. Doch auch da gab es Einbrüche: Die Männer unterlagen zuletzt im Basketball gegen den Erzrivalen Argentinien, im Volleyball gegen Italien. Auch im Beachvolleyball schied bereits ein Männerteam aus. Wenigstens im Fußball schafften es die Männer ins Halbfinale. Ebenso wie die Frauen, die in den Ballsportarten bisher bei weitem mehr überzeugten.

Dass Brasilien nicht plötzlich zu einer großen Sportnation wird, ist nicht wirklich überraschend. Schon eher, dass es die frisch gebackene Olympiasiegerin im 10.000-Meter-Lauf, Almaz Ayana, ist, die den heimischen Medien die Gründe erklärt: „Hier geht es im Sport genauso zu wie bei mir zu Haus in Äthiopien. Es fehlt an Leistungsanreiz und Förderung im Sport“, sagt Ayana. Von Anfang an stünden Ausbildung und Wettkämpfe einander gegenüber, und das in Familien, die kein Geld für nichts haben.

Der mäßige Erfolg hat durchaus negativen Einfluss auf das olympische Fest. So enthusiastisch, wie die brasilianischen Sportler angefeuert werden, so wenig interessieren die Wettbewerbe, wo sie nicht oder nicht mehr dabei sind. Auch jenseits der Sportstätten ist eine gewisse Gleichgültigkeit zu spüren. Die Wettkämpfe interessieren, aber keinesfalls so sehr wie die Ligaspiele im Fußball, die dieses Wochenende stattfanden. Das gleiche Bild auf den olympischen Flaniermeilen. Proppevoll ist es dort, aber meist bei Konzerten und zum Selfie vor der olympischen Flamme, aber nicht vor den Übertragungsleinwänden.

„Es sind die bislang schwierigsten Spiele, die ich erlebt habe“, erklärte IOC-Vize John Coates. Obwohl bisher nur Regen und Wind zu einigen Beeinträchtigungen des Sportbetriebs führten, hält das Mäkeln an. Immer wieder gibt es Klagen über die Wohnungen im Olympiadorf, die Essensversorgung an den Sportstätten ist zu schnell ausverkauft, und die Informationen bei den insgesamt gut funktionierenden Verkehrsmitteln sind verwirrend. Der Zika-Virus war schnell vergessen, dann aber das nächste Rätsel: Warum färbten sich die Schwimmbecken plötzlich tief grün?

Das wohl ärgerlichste Problem sind die vielen leeren Stadien. „Eindeutig zu teuer für das heimische Publikum“, sagt der Olympiaforscher Christopher Gaffney. Rund 35 Euro für 2,5 Stunden Leichtathletik ohne wichtige Finals auf den billigsten Plätzen ist schon happig. Auch die Maskottchen und andere Olympia-Artikel werden schon seit Samstag in den offiziellen Shops im Sonderangebot feilgeboten.

Es ist keine Protestbewegung, die diesen Spielen zu schaffen macht, zumal die wenigen kleinen Demos und Aktionen in den lokalen Medien fast vollständig unterschlagen werden. Die unbeliebte Übergangsregierung hält sich bewusst im Hintergrund. Interimspräsident Michel Temer weiß, dass er mit Olympia nicht punkten kann. Sogar Eduardo Paes, Rios Bürgermeister und hemdsärmeliger Olympiamacher, wartet anscheinend nur darauf, dass der Trubel vorbei ist und wieder in Hinterzimmern Politik gemacht werden kann.

Doch in Rio droht Katerstimmung. Die nicht richtig gewollte Party hat zu viel Geld gekostet, Stadt und Bundesstaat stehen kurz vor dem Ruin. Niemand weiß, wie die unzähligen Haushaltslöcher in Zukunft gestopft werden sollen.

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