Lehrstellenmisere macht Schule

Die Arbeitsverwaltung redet Lehrstellenmisere schön – mehr als 9.000 fehlender Stellen zum Trotz. Arbeitsminister spricht von „angespannter Lage“. Gewerkschaften und Arbeitgeber: Schule gefordert

VON ANDREAS WYPUTTA

Die nordrhein-westfälische Arbeitsverwaltung sieht am Ausbildungsmarkt erste Hoffnungsschimmer. „Das statistische Berufsberatungsjahr 2004/2005 schließt besser ab als erwartet“, so Ralf Hörsken, Geschäftsführer der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur für Arbeit, gestern in Düsseldorf. Zwar suchten Ende September noch immer 9.135 Jugendliche eine Lehrstelle, doch waren dies 208 oder zwei Prozent weniger als im Vorjahr.

Ein Erfolg der Arbeitsagenturen ist dies aber nicht. Erstmals wurden den ehemaligen Arbeitsämtern weniger als 100.000 Ausbildungsstellen gemeldet. „Daraus lässt sich nicht auf ein insgesamt verringertes Ausbildungsangebot schließen“, räumt Hörsken ein. Denn die Ausbildungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit bildet nur den Agenturen für Arbeit gemeldeten Teil des Ausbildungsangebotes ab, der Rest wird etwa über Stellenbörsen der Industrie- und Handelskammern oder über das Internet vermittelt. Nordrhein-Westfalens CDU-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann lobte zwar die Anstrengungen von Arbeitgebern und Gewerkschaften im Ausbildungskonsens, warnte aber vor zu hohen Erwartungen: „Die Lage bleibt angespannt.“

Schuld an der Misere sei besonders die mangelnde Qualifikation vieler Jugendlicher, kritisiert die Arbeitnehmerseite. „Vielen Bewerbern fehlt es nach wie vor an sprachlicher Ausdrucksfähigkeit oder grundlegenden Kenntnissen in Mathematik“, sagt Martina Ernst, Geschäftsführerin der Vereinigung der Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-Westfalen. Selbst Abiturienten oder Studienabbrechern fehlten teilweise Voraussetzungen für die erfolgreiche Lehrstellensuche: „Das kann mangelnde Motivation oder eine geringe Frustrationstoleranz sein“, so Ernst. „Eine Absage, eine Kündigung mag für den Einzelnen gerade in der momentanen Situation schlimm sein, bleibt aber eigentlich ein ganz normales Phänomen“, klagt die Arbeitgeberlobbyistin über die „Vollversorgungsmentalität der Gesellschaft.“

Regionaldirektions-Geschäftsführer Hörsken betont dagegen, in der „großen Palette der Ausbildungsberufe“ fielen „keine Berufe auf, die nicht mit geeigneten Bewerbern zu besetzen wären“. Diese These aber wird auch von Gewerkschaftsseite bezweifelt. „Natürlich wird das Argument der mangelnden Qualifikation der Jugendlichen auch von manchen Arbeitgebern missbraucht“, sagt Norbert Wichmann, Bildungsexperte des nordrhein-westfälischen DGB. „Einige Arbeitgeber würden ihre eigenen Einstellungsvoraussetzungen nicht erfüllen.“ Dennoch hätte schon die Pisa-Schulleistungsstudie erwiesen, dass viele Jugendliche unzureichend auf den Einstieg ins Berufsleben vorbereitet seien: „Das öffentliche Schulwesen versagt. Dabei hat es gegenüber den Schülerinnen und Schülern eine Bringschuld“, sagt Wichmann.

Besonders besorgniserregend bleibt die Situation der so genannten Altbewerber: Knapp die Hälfte der Jugendlichen sucht schon seit einem Jahr und länger eine Lehrstelle. Die nur einjährigen Ausbildungsgänge, die CDU-Arbeitsminister Laumann für gering Qualifizierte einrichten will, lehnen die Gewerkschaften aber ab: „Eine solche Schmalspurausbildung hilft in einem immer komplexeren Arbeitsmarkt nicht weiter“, sagt DGB-Bildungsexperte Wichmann. „Ohne entsprechende Qualifikation haben die jungen Leute keine Chance.“