Hunderte suchen noch

Wirtschaft und Arbeitsagentur beklagen Mangel an geeigneten Azubis. Tendenz auf Lehrstellenmarkt sei erfreulich, Ausbildungspakt „übererfüllt“

„Wir haben den Verdacht, dass viele Jugendliche statistisch weggesperrt werden“

von Eva Weikert

Ein „positives Ergebnis“ für das Ausbildungsjahr 2004/2005 haben gestern die Hamburger Wirtschaft und die Arbeitsagentur vermeldet. Das Soll aus dem nationalen Ausbildungspakt für 2005 sei schon jetzt um 841 Lehrstellen übertroffen worden, erklärten Vertreter von Agentur sowie Handels- und Handwerkskammer auf einer gemeinsamen Pressekonferenz. Zugleich monierten sie, auch in diesem Jahr gebe es in der Hansestadt mehr offene Stellen als „geeignete“ Bewerber. Hiesige Jugendliche seien schlecht auf das Berufsleben vorbereitet. Schulen und Eltern müssten sich für „mehr Ausbildungsreife“ einsetzen.

Ende September waren noch 697 Jugendliche mit Hilfe der Arbeitsagentur auf der Suche nach Ausbildung – laut Statistik sind das zwölf Prozent weniger als im Vorjahr. Im Angebot waren lediglich noch 98 Ausbildungsplätze. Es seien positive Tendenzen erkennbar, meinte Agentur-Geschäftsführer Jens Becker.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisierte die vorgelegten Statistiken. Olaf Schwede, Vorsitzender der DGB-Jugend Hamburg, warnte, die „vermeintlich“ positive Entwicklung bei den unversorgten Schulabgängern sei durch einen massiven Rückgang der Bewerberzahlen erklärbar, deren Ursache eine strengere Auslese der Arbeitsagentur sei. „Wir haben den Verdacht, dass viele Jugendliche statistisch weggesperrt werden, um die Wirklichkeit zu schönen“, ergänzte DGB-Nord-Vize Ingo Schlüter. Bei genauerem Hinsehen stelle sich die Lage am Ausbildungsmarkt auch in diesem Jahr „dramatisch“ dar, weil die Zahl der betrieblich gemeldeten Stellen weiter sinke. Für das Ausbildungsjahr hatten die Hamburger Arbeitgeber bei der Agentur 8.957 Plätze gemeldet – 547 oder 5,8 Prozent weniger als im Vorjahr. Darum bewarben sich 8.726 junge Leute.

Becker bestätigte, dass das frühere Hamburger Arbeitsamt seit diesem Jahr erstmals die „Bewerberreife“ überpüft: „Das kann eine Ursache dafür sein, dass weniger Bewerber in der Kartei sind.“ Die Pressestelle der Arbeitsagentur hatte schon früher eingeräumt, Schulabgänger, die Beratungs- und Trainingstermine nicht einhielten, aus ihrer Kartei zu streichen.

Bei der Handwerkskammer waren Ende September 2.372 neue Ausbildungsverhältnisse eingetragen – trotz schwacher Binnennachfrage nur sieben weniger als im Vorjahresmonat, lobte Kammervorstandsmitglied Josef Katzer. Für die Handelskammer bilanzierte Präses Karl Joachim Dreyer hingegen „den besten Wert seit fünf Jahren“: Die Zahl der eingetragenen Ausbildungsverträge habe sich um 144 auf zuletzt 7.946 erhöht.

Er und Katzer hoben besonders die neu eingeworbenen Lehrstellen hervor. Mit insgesamt 1.541 Plätzen habe die ansässige Wirtschaft die Vorgabe des Ausbildungspaktes, 700 zusätzliche Lehrstellen zu akquirieren, bereits vor Jahresende „übererfüllt“. Zudem seien Mitte September 587 Praktikumsplätze im Angebot gewesen, von denen ein großer Teil noch frei ist.

In Hamburg bilden aber immer noch vergleichsweise wenig Unternehmen aus – von 130.000 Handelskammer-Mitgliedern nur etwa 5.500. Im Bundesdurchschnitt stellt jedes zweite Unternehmen Lehrlinge ein.

Neben „mangelhaftem Engagement“ bei der Stellensuche beklagten die drei Initiatoren der Pressekonferenz ein Defizit an Ausbildungsreife unter Hamburger Schulabgängern. „Leider haben wir vielfach nicht den Grad an Ausbildungsfähigkeit feststellen können, den wir erwarten müssen“, so Handelskammer-Präses Dreyer. Viele Ausbilder bemängelten, dass sich der Notendurchschnitt verschlechtert habe, ergänzte Katzer für das Handwerk. Die Schulen müssten besser auf das Berufsleben vorbereiten.

Im Gespräch mit der taz gab der Sozialwissenschaftler Lutz Wende zu Bedenken, die Klagen über mangelnde Ausbildungsreife „haben viel mit den überhöhten Ansprüchen der Betriebe zu tun“. Ausbildungsfähigkeit sei ein wissenschaftlich umstrittener Begriff, „da keiner weiß, was das heißt“, sagte Wende, der zusammen mit der Fachhochschule Frankfurt/Main ein Forschungsprojekt zur Jugendberufshilfe macht. An Schulnoten sei die Reife jedenfalls nicht zu messen. Wende warnte, aus dem drastischen Lehrstellenmangel und dem Trend, dass immer mehr Abiturienten in den Lehrberuf strebten, resultiere ein Verdrängungswettbewerb und eine „abgrundtiefe Selektion“.