Sie nennen es Glück

Im Korb Schleswig-Holstein will noch mehr Touristen an seine Küste locken und hat darum die Imagekampagne mit dem Namen Glückswachstumsgebiet erdacht. Dazu gehören die neuen Schlafstrandkörbe, die in Handarbeit in einer integrativem Werkstatt in Meldorf entstehen. Aber macht das Schlafen im Strandkorb glücklich? Ein Selbstversuch in Eckernförde

Wird in einer integrativen Werkstatt in Schleswig-Holstein hergestellt: Strandkorb mit Matraze Foto: Antonia Stille

Von Antonia Stille

Regentropfen prasseln auf die Plane über unseren Köpfen. Wir liegen im Strandkorb in der Eckernförder Bucht und versuchen zu schlafen. Unser Korb steht nur etwa zehn Meter vom Wasser entfernt. Der Strand ist menschenleer, es regnet, uns ist kalt.

Seit dieser Saison können Gäste in sechs Orten an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste im Strandkorb übernachten. Den Preis bestimmen die Badeorte selbst, er liegt meist zwischen 30 und 40 Euro pro Nacht. Acht dieser Prototypen stehen an Schleswig-Holsteins Badestränden. Sollte das Modell erfolgreich sein, geht die Produktion in der integrativen Werkstatt der Stiftung Mensch in Meldorf im kommenden Jahr in Serie. Für diese Saison sind die Körbe jedenfalls ausgebucht und für die kommende Saison können Gäste schon reservieren. Wir mussten unseren Korb bereits Wochen im Voraus buchen, da konnten wir uns nicht nach dem Wetter richten.

Als wir am Abend ankommen, regnet es noch nicht, es ist aber schon ziemlich kühl. Ein junger Mann in roter Badehose und mit vom Ostseewasser glänzender Haut joggt trotzdem über den Strand – wie er bei diesen Temperaturen baden konnte, ist uns ein Rätsel. Wir sitzen bei rund zwölf Grad in Pullovern am Fußende unseres Strandkorbs, essen den mitgebrachten Salat und blicken auf die Eckernförder Bucht: Kein Wind weht, das Meer ist spiegelglatt, einige Hundert Meter vom Strand entfernt liegt ein Versorgungsschiff der Marine.

Der Strandkorb ist etwa 1,30 Meter breit und 2,40 Meter lang. Die kuppelförmige Plane, die das Dach bildet, können wir hochklappen. Drinnen liegt eine graue, dünne Matratze. In die Wände sind zwei kleine, runde Fenster eingelassen, die wir mit schwarzen Klappen verdecken können. An Kopf- und Fußende sind Fächer eingebaut, in denen wir unsere Taschen lagern. Im Verhältnis zu seiner Größe bietet der Strandkorb viel Stauraum. Da wir für die Nacht einiges mitbringen mussten – zum Beispiel Schlafsäcke, Kissen, Essen, Trinken und Geschirr – ist der Platz sehr knapp. In anderen Badeorten, zum Beispiel in Niendorf am Timmendorfer Strand, können Bettwäsche und Getränke zum Schlafstrandkorb gleich mit dazu gebucht werden. In Eckernförde nicht.

Während wir unsere Sachen in die Fächer quetschen, werden wir skeptisch beäugt. „Da wollt ihr drin schlafen?“, fragt eine Frau. „Wo könnt ihr denn auf Klo gehen?“ Gut 50 Meter entfernt sind die Toilettenkabinen, für die wir einen Schlüssel bekommen haben. Tagsüber sind sie öffentlich zugänglich, abends braucht man einen Schlüssel. Wir schließen auf und schauen uns um: zwei Toilettenkabinen, keine Dusche, kein Klopapier.

Die Schlafstrandkörbe sind Teil der Imagekampagne „Glückswachstumsgebiet“, die sich die Tourismusagentur Schleswig-Holstein ausgedacht hat. Sie wollen damit „die Markensympathie stärken“ und „das Buchungsverhalten in Richtung Schleswig-Holstein lenken“, wie sie es formulieren. „Im Schlafstrandkorb erleben die Gäste das Meer und die Elemente aus einer neuen Perspektive – eine Erfahrung, die glücklich macht“, glaubt der Geschäftsführer der Tourismusagentur jedenfalls. Das heißt: Sie wollen Touristen herholen – und nennen es Glück.

Es wird dunkler und noch kälter. Der ohnehin wenig besuchte Strand ist inzwischen wie ausgestorben. Auf der Uferpromenade sind nur Möwen und einige Hundebesitzer auf Gassi-Gang unterwegs. Weit und breit gibt es keine Bar, kein Café – wir bleiben also in unserem Strandkorb und öffnen die erste Kekspackung.

Wir sind ganz offensichtlich nicht die einzigen, die in Eckernförde nichts zu tun finden. Kurz nachdem wir uns wieder in unseren Korb gesetzt haben, kommen zwei junge Männer mit einem Sektkühler in der Hand auf uns zu: „Hat hier jemand den Strandservice bestellt?“ Die beiden sehen nicht nach Strandservice aus. Wir verneinen. „Wir haben Gin-Tonic. Lasst uns doch zusammen chillen.“ Wir schicken sie weiter.

Eine halbe Stunde später sind sie wieder da und setzen sich vor unseren Strandkorb in den Sand – der Gin im Sektkühler ist mittlerweile fast leer. Peter ist Soldat bei der Marine, deshalb ist er von Berlin nach Eckernförde gezogen. Timo ist aus Berlin zu Besuch. „Hier ist echt nichts los“, sagt Timo. „Es gibt hier keine Bars, keine Clubs. Nichts.“ Deshalb laufen die beiden abends über den Strand und bieten Fremden Gin-Tonic an. „Als wir gesehen haben, dass da zwei 19-jährige Frauen drin sind, haben wir uns gleich den Sektkühler geschnappt. Normalerweise schlafen nur ältere Paare in den Strandkörben“, sagt Peter.

Seine Wohnung liegt nur wenige Meter von unserem Strandkorb entfernt. Es ist schon seit einigen Jahren bei der Marine. Inzwischen ist als Ausbilder auf der „Gorch Fock“. „Wie früher ist es aber nicht mehr. Wir dürfen ja nicht mal die Kadetten anbrüllen“, sagt er. Wir unterhalten uns über eine Stunde lang, bis es nach Mitternacht ist und sie in ihren T-Shirts frieren und nach Hause gehen.

Wir machen unseren Korb zu und schließen ihn von innen ab. Das Meer ist nicht mehr so ruhig, es wird immer windiger. Wir hören das Rauschen der Wellen, als lägen wir im Bauch eines Schiffes. Eine Gruppe lärmender Teenager kommt vorbei. Das Brummen des Dieselmotors dringt vom Militärschiff zu uns herüber.

In Meldorf an der Nordsee werden die Strandkörbe zum Übernachten hergestellt – von Mitarbeitern der Stiftung Mensch.

In der Strandkorbmanufaktur sind Menschen mit und ohne Behinderungen beschäftigt und fertigen die Körbe komplett in Handarbeit.

Die Herstellungskosten für diese Körbe liegen bei knapp 6.000 Euro pro Stück.

Mit über 1.000 Arbeitsplätzen gehört die Stiftung Mensch zu den größten sozialen Stiftungen in Schleswig-Holstein.

Die Strandschlafkörbe stehen in Eckernförde, auf Fehmarn, am Weissenhäuser Strand, in Grömitz, in der Lübecker Bucht, in Travemünde und in Niendorf am Timmendorfer Strand – und der Plan ist, dass aus den Einzelstücken eine Serienproduktion wird.

Wäre der Himmel nicht so bewölkt, könnten wir durch das kreisförmige Fenster in der Plane über uns die Sterne anschauen. Stattdessen fängt es an zu regnen. Die Tropfen prasseln auf unseren Korb, schlafen ist kaum möglich. Es ist so laut, dass wir uns auch nicht unterhalten können, ohne laut zu werden. Außerdem frieren wir in unseren Schlafsäcken.

In der Nacht wachen wir ständig auf, weil der Korb leicht abschüssig im Sand steht und wir immer wieder ans Fußende rutschen. Sonst ist die dünne Matratze aber recht bequem, für zwei Personen bietet sie auch ausreichend Platz.

Es hört erst am frühen Morgen auf zu regnen. Nach einer unruhigen Nacht mit wenigen Stunden Schlaf weckt uns der Sonnenaufgang. Zum Frühstück gibt es Toppas mit H-Milch. In unsere Schlafsäcke eingewickelt essen wir und frösteln immer noch ein wenig. Da es so kalt ist, ist der Strand allerdings angenehm leer. Wir haben unsere Ruhe und genießen den Blick auf die inzwischen wieder ruhige See.

Nachdem wir gegessen und unser Geschirr mit Meerwasser ausgespült haben, räumen wir auf. Wir holen unsere Taschen aus den Fächern und fegen den Korb aus. Dabei schauen uns nur einige Möwen zu, die wohl auf unsere Essensreste spekulieren. Aber sie gehen leer aus, wir bringen unseren Müllsack zu einem Müllcontainer und machen uns auf den Weg zur Touristeninformation.

Es ist kurz vor acht Uhr, sie hat noch nicht geöffnet. Wir werfen den Schlüssel unseres Korbes in den Briefkasten und machen uns auf den Weg über die Uferpromenade. Nur ein Mann kommt uns mit seinem Hund entgegen. Wir biegen auf den Parkplatz und hören noch, wie der Hund die Möwen anbellt. Wir steigen ins Auto und fahren durch den menschenleeren Ort, zurück auf die Autobahn.