heute in Bremen
: „Ethisch verheerend“

VORTRAG Ein Philosophieprofessor diskutiert die Konsequenzen der Neurowissenschaften

Wolfgang Detel

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ist emeritierter Professor für Antike Philosophie und Wissenschaftstheorie der Uni Frankfurt am Main und lehrt an der Uni Bremen.

taz: Was ist denn „Mind Reading“, Herr Detel?

Wolfgang Detel: Das, was wir hier gerade tun: Das Erfassen der geistigen Zustände anderer Menschen, ihrer Ängste, Emotionen, Gedanken und Meinungen. Daneben gibt es das „Brain Reading“, bei dem es nur darum geht, mit bildgebenden Verfahren festzustellen, welche Neuronen gerade wie feuern.

Kann man damit wirklich zeigen, was ich gerade denke?

Teile der Neurowissenschaften – die auch die öffentliche Meinung prägen – unterstellen das. Aber ob ein Proband beispielsweise Angst hat, und wie diese genauer zu beschreiben ist, das zu bestimmen ist natürlich nicht Aufgabe der Neurowissenschaftler. Das machen kognitive Psychologie und Philosophie. Die Erforschung des Geistes ist eine interdisziplinäre Aufgabe – in der die Neurowissenschaften eine eher untergeordnete Rolle spielen. Sie erforschen zusammen mit Psychologie und Philosophie die Korrelation zwischen aktiven Neuronen und geistigen Zuständen. Diese Forschung entwickelt sich rasant und führt dazu, auch den Geist physisch manipulieren zu können. Man kann dadurch bestimmte Krankheiten heilen, aber auch die Geheimdienste dieser Welt nehmen da Habtachtstellung ein. Die Möglichkeit eines kognitiven Dopings ist die entscheidende ethisch und politisch problematische Konsequenz. Das wird in der Debatte leicht übersehen.

Geht es hier um die Konkurrenz der Wissenschaften um die Führungsposition?

Wenn Sie etwas Ärger heraushören, so ist das richtig. Doch es geht nicht um Konkurrenz. Aber die Neurowissenschaftler verlangen von uns Geisteswissenschaftlern, dass wir ihre Erkenntnisse zur Kenntnis nehmen, was wir auch tun – aber umgekehrt geschieht das eher selten. Sie sprechen beispielsweise von Empathie, wissen aber gar nichts von den verschiedenen Arten der Empathie. Dann ist ihr Ergebnis aber wissenschaftlich nicht besonders wertvoll.

Die Dominanz der Neurowissenschaften in der Debatte führt zu deren Verflachung?

Zum Teil schon, und dafür werde ich auch Beispiele zeigen. Aber es gibt natürlich auch viele bedächtige und reflektierte Neurowissenschaftler.

Sind wir zu fasziniert von den Neurowissenschaften?

Ja, das sind harte Naturwissenschaften. Zugleich verwenden sie oft Alltagsbegriffe der geistigen Zustände. Das sollte man in der Wissenschaft nicht tun.

Was kann man gegen die Gefahren der Manipulation tun, die uns die Neurowissenschaften eröffnen?

Wissenschaftliche Forschung hat sich noch nie stoppen lassen. Aber man kann natürlich überlegen, politische Verbote auszusprechen, so wie bei der Genmanipulation. Meiner Meinung nach ist das notwendig. Man kann heute schon Mäusen Ängste vor Räumen einpflanzen, die sie nie betreten haben. Irgendwann kann man dann auch Menschen gegen viel Geld kognitiv stärker machen. Wie erfolgreich die Wissenschaft auf diesem Gebiet sein wird, kann man nicht vorhersagen. Aber das kognitive Manipulationswissen kann ethisch verheerend werden. Dagegen ist die Genmanipulation nichts.

Interview: JAN ZIER

17 Uhr, St.-Joseph-Stift, Schwachhauser Heerstraße 54, Eingang Schubertstraße