Türkei

Die Putschisten hatten sich breitere Unterstützung erhofft. Doch selbst kritische Journalisten und Opposition stellten sich gegen sie

„Kooperation auf Eis legen“

BERLIN Bundesregierung warnt Erdoğan vor „Rache und Willkür“

BERLIN taz | Die Kanzlerin mühte sich um Deutlichkeit – fast zumindest. „Auf das Schärfste“ verurteile sie den Putschversuch in der Türkei, sagte Angela Merkel (CDU) am Wochenende. „Deutschland steht an der Seite all derjenigen in der Türkei, die die Demokratie und den Rechtsstaat verteidigen.“

Auffällig nur: Nicht einmal nannte Merkel den Namen Erdoğan. Stattdessen übersandte sie dem türkischen Präsidenten einen Appell: „Gerade im Umgang mit den Verantwortlichen für die tragischen Ereignisse kann und sollte sich der Rechtsstaat beweisen.“ Ein frommer Wunsch – wie die mehr als 6.000 Festnahmen angeblicher Putschisten und die Absetzung von 2.700 Richtern zeigten.

Die Opposition forderte daher mehr als Appelle. Die Linkenpolitikerin Sevim Dağdelen sagte der taz: „Die Bundesregierung muss die militärische Kooperation mit der Türkei abbrechen und die Bundeswehr sofort aus Incirlik abziehen.“ Auch gehörten das Flüchtlingsabkommen mit dem Land aufgekündigt und die Beitrittsverhandlungen in die EU gestoppt.

„Es ist völlig absurd, mit einem Land zu verhandeln, das dabei ist, alle Restbestände an Demokratie abzubauen“, so Dağdelen. Sie warf Erdoğan seinerseits einen „Putsch“ nach der gescheiterten Militärauflehnung vor. Reine Mahnungen liefen jetzt „völlig ins Leere“. „Die Zusammenarbeit mit der Türkei muss auf Eis gelegt werden, wenn man sich nicht zum Gespött machen will.“

Auch Omid Nouripour (Grüne) forderte eine klare Haltung: „Die Bundesregierung hat Erdoğan in den letzten Monaten alles durchgehen lassen. Spätestens jetzt geht das nicht mehr.“ Nouripour beunruhigte vor allem die Diskussion über eine Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei. „Das wäre eine massive Eskalation und könnte auch Leute wie den inhaftierten PKK-Anführer Öcalan treffen.“ Merkel müsse gegenüber Erdoğan darauf pochen, dass die Verfassung in der Türkei weiter gelte. „Die Bundesregierung muss sehr klar machen, dass man nicht allem konsequenzlos zuschauen werde.“

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte bereits „alle Verantwortlichen“ in der Türkei auf, „sich an die demokratischen und rechtsstaatlichen Spielregeln zu halten und dafür zu sorgen, dass weiteres Blutvergießen verhindert wird“. Auch Justizminister Heiko Maas (SPD) appellierte: „Rache und Willkür werden nicht zu einer Befriedung nach dem Putschversuch beitragen.“

In Deutschland gingen am Wochenende Unterstützer Erdoğans auf die Straße. In Berlin waren es 3.000, Tausende weitere demonstrierten etwa in Essen, Stuttgart, Hamburg, Bremen oder Köln. Dazu hatte der deutsche Moschee-Verband Ditib aufgerufen: „als Zeichen für die Demokratie“. Die Reaktionen Erdoğans ließ Ditib unkommentiert. Konrad Litschko