Der ominöse Anruf des Richters

BAYERN Ministerin Merk (CSU) verteidigte die Justiz lange im Fall Mollath. Jetzt wird er neu aufgerollt

MÜNCHEN taz/dpa | Bereits im September 2003 hat Gustl Mollath Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth erstattet. In seinem Schreiben benannte er konkret die ihm bekannten Vorgänge der Steuerhinterziehung, Schwarzgeldschiebereien und Insidergeschäfte im Umfeld der HypoVereinsbank (HVB), für die auch seine Frau als Vermögensberaterin tätig war. Er unterfüttert die Anzeige mit detaillierten Angaben über die Vorgänge und einer langen Liste der Beteiligten.

Doch die Anschuldigungen wurden nicht auf ihren Wahrheitsgehalt hin geprüft. Stattdessen werteten die Richter Mollaths Eingabe offensichtlich als den Racheakt eines psychisch instabilen Angeklagten, der es seiner Frau in einem schmutzigen Scheidungskrieg heimzahlen wollte.

Wie die Nürnberger Nachrichten berichteten, hatte die Staatsanwaltschaft Mollaths Schreiben zwar an die Nürnberger Finanzbehörde geschickt – dort wurde es jedoch ad acta gelegt. Grund dafür sei ein Anruf aus der Justiz gewesen. Angeblich habe der Richter Otto Brixner, der 2006 im Fall Mollath am Landgericht Nürnberg urteilte, selbst bei den Finanzbehörden angerufen und darauf verwiesen, dass Mollath nicht klar bei Verstand sei. Das psychiatrische Gutachten, das Mollath später ein „paranoides Gedankensystem“ attestierte und ihn als Gefahr für die Allgemeinheit auswies, existierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Kritiker werfen Brixner nun vor, befangen gewesen zu sein.

Erst im November dieses Jahres wurde ein interner Revisionsbericht der HypoVereinsbank öffentlich, den die Bank jahrelang geheim gehalten hatte. Daraus ergibt sich, dass sich Mollaths Vorwürfe bereits 2003 bestätigt hatten.

Seither stehen nicht nur die Richter und Staatsanwälte in der Kritik. Auch Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) wäre beinahe über den Fall Mollath gestolpert. Kritiker, allen voran die Freien Wähler, werfen der bayerischen Justiz vor, einen unbequemen Menschen in der Psychiatrie eingesperrt zu haben, weil er Schwarzgeldgeschäfte einer Großbank anzeigen wollte. Ein Thema, das sich auch vor der im Herbst 2013 anstehenden Landtagswahl gut macht.

Der Revisionsbericht der Bank bescheinigt Mollath eindeutig „Insiderwissen“. Dennoch hatte Merk auch der Veröffentlichung immer wieder die Unabhängigkeit der Justiz betont und eine Einflussnahme auf den Fall abgelehnt. Die Opposition im Bayerischen Landtag hatte daraufhin Merks Rücktritt gefordert und damit gedroht, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Der rechtspolitische Sprecher der Freien Wähler, Florian Streibl, nannte den Fall Mollath einen „der größten Justizskandale der Nachkriegsgeschichte“.

Erst als sich Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) in die öffentliche Debatte einschaltete und eine erneute Überprüfung des Falls forderte, schwenkte auch die Justizministerin um. Einem Antrag der SPD, Mollaths Unterbringung neu zu überprüfen und das Parlament zu informieren, stimmte der gesamte Landtag zu.

Merk ordnete darüber hinaus die Wiederaufnahme des Verfahrens an. Dafür soll die Staatsanwaltschaft Regensburg zuständig sein, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. Auch ein neues Gutachten über Mollaths Geisteszustand soll es geben – falls er selbst einer solchen Untersuchung zustimmt. Dieser ist nach eigener Aussage zu einer neuerlichen Begutachtung bereit. Jedoch stellt er aufgrund der bisher gemachten Erfahrungen Bedingungen. Er fordert, dass das Gespräch mit einem Gutachter aufgezeichnet wird und unter der Anwesenheit von Zeugen stattfindet.

Mittlerweile hat auch die Staatsanwaltschaft Bayreuth in der Sache Mollath ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt eingeleitet, unter anderem wegen des Verdachts auf Freiheitsberaubung zugunsten Mollaths. MARLENE HALSER