Lesen vom Abseits

Wie „der Trainer aller Trainer“ und andere Fußball-Zeitgenossen die „Torwort“-Lesungen zum Erfolg machen. Eine nichtkommerzielle Lesereihe

VON BERND MÜLLENDER

Wo Erich Rutemöller auftaucht, fällt irgendwann das unvermeidliche Stichwort „Otze“. Auch kürzlich im Kölner Olympia-Museum. Augenblicklich grinste sich das Publikum eins. Doch eine junge Frau war ahnungslos und Rutemöller, der heute Trainerausbilder an der Sporthochschule Köln ist, musste die legendäre Causa Otze nochmal aufrollen. Wie es war 1991 im Pokalhalbfinale gegen den MSV Duisburg. Wie er als Trainer des 1.FC Köln den Spieler Frank „Otze“ Ordenewitz kurz vor Schluss (es stand 3:0) aufgefordert hatte, absichtlich gelbrot vom Platz zu fliegen, weil er so im bedeutungslosen nächsten Meisterschaftsspiel gesperrt wäre, aber eben nicht im Pokalfinale. „... naja, und da hab ich ihm an der Seitenlinie halt gesagt“, Rutemöller wird ganz leise, als schäme er sich: „Mach et, Otze.“

Der Trainer saß indes nicht als Anekdotenonkel auf dem Podium der 6. „Torwort“-Lesung, sondern mit eigener Literatur. Und so gab er kund: „... ein Trainer wie ich lernt im Laufe seiner Karriere wohl 2.500 Spieler kennen, große Geister und kleine Lichter. Und man versuche immer, diese eigenen Spieler zu mögen.“ Im Mittelpunkt stand dann seine besondere Hassliebe zu einer bestimmten „Type zwischen Genie und Wahnsinn“, der 1980 als Spieler „mein großer Abwehrheld“ bei den FC-Amateuren war. „In Viersen brach er dem gegnerischen Spielertrainer Horst Köppel das Wadenbein. Ja, da war die Saison gegessen...“

Konzipiert hat die nichtkommerzielle Lesereihe der Kölner Ball-Liebhaber Sascha Theisen. „Es gibt so viel gute Fußballliteratur“, sagt er, „aber kaum jemand möchte zwei Stunden lang was aus einem Buch hören. Also mischen wir: Pointierte Geschichten, gezielte Häppchen, sehr unterschiedliche Leute.“ Sechs Autoren lesen immer je gut 15 Minuten, schräg und schrill, albern und natürlich tiefsinnig. Vortragende waren bislang, teils mit Fremdtexten, auch Profis wie Jens Scharping (Alemania Aachen), Simon Rolfes (Bayer Leverkusen), Stefan Wessels (1.FC Köln) und Traumhüter Lars Leese. Theisen subsumiert sie zusammen mit den Fanzineschreibern und Buchautoren unter „Fußballzeitgenossen“. Das Modell zündete: In Köln und in Aachen kamen 150 ZuhörerInnen, in Mönchengladbach waren bei den Vorträgen der Freizeitpoeten Hans Meyer (jetzt Rosenzüchter), Thomas Broich (wieder Mittelfeldzerberus) und Uwe Kamps (Ex-Elfmetermann) sogar 500 Ohren dabei. Theisen moderiert immer selbst: mit Enthusiasmus, feiner Ironie und köstlichen minimalen – Kunstpausen. Rutemöller nennt er hintersinnig den „Trainer aller Trainer“ und sagt über ihn: „Über Fußball hat er mehr vergessen, als andere je wissen werden.“

In Köln las St.-Pauli-Aficionado Christof Ruf Ergötzliches aus den „Untoten vom Millerntor“. Der Kölner Sportjournalist Frank Nägele gab grauenvoll gute Glossen über den FC, über Beckenbauer, „den Grenzmenschen Oliver Kahn“ und andere Katastrophen. Und Arne Jens von footage.de erzählte eine der hinreißendsten Geschichten über Fußball-Beziehungsdramen, die je niedergeschrieben wurden. Ausgangspunkt: Der Klassiker: Er: Montags beim Frühstück Sportteil verschlingend. Sie: „Na, was liest du so?“ Er: „Äääh, den Bericht vom FC-Spiel.“ Sie: „Aber das hast du doch in der Sportschau gesehen.“ Er: „Ja, schon. Aber..., äh, ja, hier wird es analysiert!“ Sie: „Wieso? Hast du das Spiel nicht verstanden?“ – Die Liebe hielt immerhin vier Jahre.

Danach: der Frauenfußball selbst. Jürgen Nendza und Edi Hoffmann referierten seine Nachkriegsgeschichte mit unfassbar grotesken und unbekannten zeitgenössischen Zitaten. Da war das DFB-Verbot des Frauenfußballs „aus grundsätzlichen Erwägungen und aus ästhetischen Gründen“ (bis 1970!). Und dennoch flogen „Kopfbälle von Dauerwelle zu Dauerwelle“, wie eine Wochenschau 1955 kommentierte. Heute ist alles besser. Nendza/Hoffmann, „die Frauenversteher“ (Theisen) haben ihre fußballarchäologischen Funde zu Buch und Ausstellung verarbeitet („Verlacht, verboten und gefeiert“). Schon 1999 spendierte der DFB seinen Erfolgs-Kickerinnen eigene Trikotagen und mit dem EM-Sieg im Juni haben die DFB-Frauen jetzt mehr große Titel geholt (7) als die schlappen Männer (6).

Rutemöller verriet auch noch, wer der Wadenbrecher und Trainerkumpel ist: nämlich Christoph Daum. Beim abschließenden rituellen Torwandschießen verhinderte der Otze-Anstifter erst mit dem letzten Schuss eine Niederlage gegen eine junge Frau in Badelatschen. „Chauvi“, sagte einer. Man lachte.

15.10.2005, 20:00 Uhr Kölner Olympia-Museumwww.torwort.de