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No Brothers, Sister!

Musik Das internationale Festival YO! SISSY feiert am Wochenende die Schönheit von Diversität und Offenheit und verwandelt Anfeindungen gegen queere Lebensentwürfe in gute Energie

Der hip-hopeske Titel dieses Musikevents ist programmatisch

von Sophie Jung

Nicht Bro, nicht Sister, sondern Sissy, und zwar YO! SISSY. Als „alles in allem süß, verspielt und naiv“ bezeichnet das urban dictionary einen „Sissy“-Charakter. Das klingt schön unmännlich, weit weg von einem antiquierten Männlichkeitsbild, das eigentlich mit geistiger Strenge und körperlichen Kraft verbunden wird. Die ursprüngliche Beleidigung „Sissy“ haben sich zwei Größen der Berliner Queerszene angeeignet, ein ordentliches „Yo“ davor gesetzt und die hip-hopeske Satzschöpfung zum programmatischen Titel eines Musikevents gemacht.

YO! SISSY heißt das Festival von Sampson und Pansy, die selbst als Party-Transe oder Karaoke-Performer in der nächtlichen Queerszene unterwegs sind. An diesem Wochenende werden die beiden unter YO! SISSY 39 Musik- und Performance-Acts versammeln. Formationen mit Namen wie Boy Pussy oder Cockwhore & Macho werden an diesen Tagen zeigen, dass sich sprachliche Anfeindungen gegen queere Lebensentwürfe in gute Energie umkehren lassden.

Mykki Blanco, Hauptact am Freitag, ist wohl die Queen der sprachlichen und performativen Aneignung und Umkehrungen. Ihre provokative Künstlerpersona setzt sich aus GG Allin, Jean Cocteau, Lauryn Hill, Lil’ Kim und Marilyn Manson zusammen. Sexy, zerstörerisch und poetisch ist sie auf der Bühne. Blanco ist schwuler Transvestit und rappt. Sie stellt mit expliziten Lyrics und rohen Produktionen, die vielmehr aus dem Punk als aus dem Hip-Hop kommen, die Geschlechterrollen infrage. Freaks, Drogen und Kinky-Sex verpackt sie in smarte Rhetorikspiele und als Statement right in your face: „Some bitches came, some bitches conquered / Some bitches got laid down in the slaughter“.

Mykki Blancos radikaler Sound wird am Freitagabend im Kreuzberger „Musik & Frieden“ auf den unterkühlten Elektropop von Easter treffen. Max Boss und Stine Omar Midtsæter machen mit ihren langsam-klaren 4/4-Beats und einem zähen Sprechgesang mit exaltiertem skandinavischen Akzent den Ton zur Postinternet Art. „Shrimps out of Mushrooms“ und „Alien Babies“ in ihren Lyrics erzählen von den seltsamen Verzerrungen unserer technologisierten Welt, begleitet von tiefsinkenden Synthies und minimalen Ethno-Anklängen.

Die Kombination Easter-Blanco ist in der Düsternis beider Acts noch die stimmigste des gesamten Festivals. Sampson und Pansy haben ein ziemlich kakophones, quietschbuntes, wortwörtlich verqueres Programm zusammengestellt. Die Formation Sado-Opera wird am Samstagabend mit ihrer Performance aus Komik, Trash und Zitat den Hauptact stellen. Hi Fashion werden mit ihrem bewusst oberflächlichen House „You are gorgeous“ in die Partymenge rufen, und Pussy Chérie aus Paris werden sich wohl eher an die dunklen Wave-Gemüter richten.

Dazwischen wird sich der Indiepop von Evripidis and his tragedies mischen. Schon mit seinem Namen verrät der in Barcelona lebende Grieche, dass hinter den leichtfüßigen Songs über Teenagerverknalltheiten und süße Sommernächte immer eine Bitterkeit steckt. Doch er nimmt es wohl mit Humor, „Unnütze Spiele in Raum und Zeit“ verkündet er auf seiner Webseite als Motto seiner Musik.

Man stellt fest: Allen 39 Acts ist eine gewisse Ironie und Überzogenheit gemein. Sampson und Pansy werden also nächstes Wochenende mit der gesammelten und wunderbaren Parodie der Queer-Culture auftrumpfen. Trotzdem meinen es die beiden mit YO!SISSY ziemlich ernst. Als wachsendes Festivalprojekt und als politisches Statement.

Letztes Jahr startete YO!SISSY. Da fanden die Konzerte im SO36, im Schwuz und in der mittlerweile geschlossenen Neuen Heimat statt. Acts wie Peaches, Hidden Cameras und Black Cracker bespielten das erste queere Festival Berlins. Dieses Jahr weiten Pansy und Sampson den sozialen Radius mit „Mainstream“-Spielstätten wie dem Musik & Frieden und dem Postbhanhof weiter aus. „YO! SISSY“, so verkünden die beiden auf der Webseite, wird „zwei unglaubliche Orte in Deutschlands Hauptstadt in ein Wunderland der Sinne verwandeln“.

Nicht nur in ihren Anpreisungen des Festivals greifen Sampson und Pansy hoch. Poster hängen überall in der Stadt, auf Facebook wird schon seit einer Weile geworben und auch die Kickstarter-Kampagne für die Realisierung dieses Events war mit 619 Unterstützern und 26.593 € Gesamtspende ein Erfolg. Im März reiste YO!SISSY mit einem eigenen Musikprogramm nach London-Hackney. Das ganze Projekt YO!SISSY ist also kein verstecktes Community-Festival für Insider. Alle, ob queer oder queerfriendly, sind eingeladen, und für jeden in der Stadt soll das Festival sichtbar sein.

„Von überall auf der Welt sollen Künstler und Publikum zusammenkommen, um gemeinsam Tanz und Performance zu feiern“, verkünden die beiden in ihrem Mission Statement. Ist diese Haltung seltsam bei den furchtbaren Weltumständen zurzeit? Ist das ein an Ignoranz grenzender Hedonismus? Eher nicht. YO!SISSY ist, wie es die positiv gewendete Diffamierung des Festival-Namens schon andeutet, unverdrossener Trotz. Die einfache Feststellung, dass Diversität und Offenheit schön sind und gerade jetzt gefeiert werden sollten, wo sie doch allerorts angegriffen werden.

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