Die neuen Aufgaben der Hausbesetzer

FLÜCHTLINGE ZIEHEN IN SCHULE

Es gibt wieder Besetzungen, die unräumbar sind – weil sie politisch nicht durchsetzbar wären

In der Hauptstadt wurde mal die „Berliner Linie“ erfunden, 1981. Die besagt, dass die Polizei Besetzungen nach 24 Stunden räumt, spätestens. Die Linie gibt es noch – sie wird aber immer seltener durchgesetzt.

Seit einer Woche wird wieder in Kreuzberg besetzt, eine ganze Schule gleich. Die 24 Stunden – längst verstrichen. Der grüne Bürgermeister Franz Schulz hat die Okkupanten geduldet. Er konnte nicht anders. Denn zu den Besetzern gehören auch Flüchtlinge, die seit Wochen für mehr Rechte demonstrieren, in Zelten, auf Kreuzbergs Oranienplatz. Sie bei Schnee und Frost wieder auf die Straße setzen? Unmöglich für einen Alternativbezirk. Also darf die Schule besetzt bleiben, erst mal bis Ende März, wenn der Winter endet.

Ähnliches kürzlich in Pankow: Hier setzten sich Rentner in ihrem Freizeittreff fest und retteten ihn so vor der Schließung. Auch sie waren unräumbar. Ebenso wie die Mieter am Kottbusser Tor, die mit einer Protesthütte gegen steigende Mieten demonstrieren, seit Monaten schon. So viel zur 24-Stunden-Linie.

Aber: Auch in der Kreuzberger Bevernstraße oder der Neuköllner Weisestraße wurde in diesem Jahr besetzt – und umgehend geräumt. Weil hier, anders als bei den vorherigen Beispielen, zwei Bedingungen fehlten: ein Bezirk als Hausbesitzer, der eine Räumung auch politisch rechtfertigen muss; und ein Anliegen, das diese Rechtfertigung möglichst schwierig macht.

Womit wir wieder in der Kreuzberger Schule wären. Ein „selbstverwaltetes, soziales Zentrum“ wollen die Besetzer dort errichten. Bisher gibt es eine Aula für Versammlungen, einen Umsonstladen, einen „Frauenflügel“ und Übernachtungsräume für Flüchtlinge. Das ist ein Anfang, füllt die riesige Schule aber noch nicht aus.

Und Bürgermeister Schulz hat bereits klargemacht: Im Frühjahr muss sich auch das autonome Zentrum in die Interessentenschar einreihen. Die ist nicht ohne: eine Kita, ein Flüchtlingsverein, der Büchertisch, ein Geburtshaus, ein Sprachenatelier, ein Wohnheim für psychisch Erkrankte, ein Dolmetschdienst, eine Selbsthilfegruppe für türkische Diabetiker.

Das Szenario für das Frühjahr ist dennoch absehbar: Die Flüchtlinge werden vielleicht wieder auf die Straße drängen, die Schule verlassen – die sie unterstützenden Autonomen wohl nicht. Das haben sie beim Bethanien ja auch nicht gemacht. Aber sie haben jetzt auch die Chance, ihre Räumung politisch zu verhindern, indem sie einen Winter lang ein Projekt aufbauen, das den anderen Initiativen nicht nachsteht. Warum soll am Ende in der Schule nicht Platz für Geburtshelfer und Anarchos sein? Das würde doch ins Kreuzberg-Bild passen. KONRAD LITSCHKO