Die Parade als politisches Statement

CSD Unter dem Motto „Danke für nix“ ziehen Hunderttausende am Samstag friedlich durch Berlin. Beim diesjährigenChristopher Street Day stand aber nicht die Party im Vordergrund, sondern die Politik. Aber getanzt wurde natürlich auch

Bunt war es auch dieses Jahr. „Aber mit Nizza, mit Paris, mit Orlando, mit Istanbul, Syrien, Griechenland, München ist der CSD ein Statement“, sagt eine Teilnehmerin Foto: Stefanie Loos

von Waltraud Schwab

Vorne Demo, hinten Love-Parade – so war der CSD-Umzug in Berlin am Samstag. Eine halbe, vielleicht auch eine dreiviertel Million Menschen, viel Haut, wenig Latex, tanzend, mit Engelsflügeln, mit Federboa, aufgedreht, sich freuend an sich, an den anderen. Vom Kurfürstendamm zum Brandenburger Tor zogen sie.

Manche unter ihnen waren achdenklich – vor allem ganz vorn, am Anfang des Demonstrationszugs. Dort wurde der Opfer des Terroranschlags diesen Juni in Orlando, Florida, gedacht. Fotos der meist homosexuellen 49 Menschen, die dabei ums Leben kamen, wurden getragen. „Imagine all the people“, lief über die Lautsprecher. In dem Beatles-Lied stellt sich John Lennon eine Welt ohne Grenzen, ohne Religionen, ohne Gier – und deshalb ohne Krieg – vor. Von den unzähligen Menschen auf den Bürgersteigen, die die Parade an sich vorbeiziehen ließen, gab es spontanen Applaus.

Auch die riesige Flaggencollage, mit Fahnen von 70 Ländern, die von zwei Dutzend Leuten getragen wurde, ging unter die Haut. Die aneinandergenähten Fahnen sind aus jenen Ländern, in denen alle, die nicht ins heterosexuelle Muster passen, verfolgt werden. In sieben Ländern davon steht die Todesstrafe auf praktizierter sexueller Abweichung, wie die Ak­ti­vis­t*innen auf dem CSD-Wagen davor immer wieder erklärten. Die Demo war eine Plattform für einige, die in den siebzig Ländern leben – eine russische Gruppe lief mit, eine syrische, Leute aus afrikanischen Ländern. Selbst die EU-Flagge, die geschwenkt wurde, rührte an, weil sie deutlich macht, dass es etwas zu verlieren gibt.

Vor Beginn des CSD hatte es Überlegungen gegeben, diesen wegen der Bluttat in München abzusagen: "Wir wussten lange nicht, ob es ein Einzeltäter oder mehrere Täter waren, ob es ein Amoklauf oder eine Terrorlage war", sagte Innensenator Frank Henkel (CDU) dem Tagesspiegel. Erst als die Lage dort klarer wurde, seien die Sicherheitsbehörden zum Schluss gekommen, dass die Demonstration stattfinden könne. "Wir mussten aber Anpassungen vornehmen." Zu konkreten Maßnahmen äußerte Henkel sich nicht.

Die Polizei zeigte sich zufrieden. Lediglich einige kleinere Zwischenfälle wurden registriert.

„Danke für nix“, hieß das Motto des diesjährigen Christopher Street Days. Soll heißen, all diese Siege, die die Homo-, Bi- und Transsexuellen in Deutschland erkämpft haben, machen sie immer noch nicht zu Gleichberechtigten. Die Verpartnerung etwa sei keine Ehe, sondern ein extra für Nichthetereosexuelle erfundenes Konstrukt, das einem Verein zwischen zwei Menschen gleichkomme, sagte ein Redner auf dem vordersten CSD-Wagen. Auch die beiden Männer, Lufthansa-Angestellte, die mit ihrem viermonatigen Pflegekind da waren, wussten um Diskriminierung. „Adoption ist nicht möglich.“

Aber dass dieses „Nix“ doch etwas ist, das sagten trotzdem viele, die die ganze Strecke von Zentrum des ehemaligen Westberlin ins Zentrum des ehemaligen Ostberlin liefen. „Ich bin so froh, dass ich mich in Deutschland zeigen kann, wie ich bin“, meinte ein Schwuler aus Stuttgart. „Dass die AfD Wahlwerbung macht mit Schwulen gegen Muslime, das schockiert“, sagte eine Berlinerin. Zwei Touristinnen aus Gent meinten: „Berlin ist eine wunderbar offene Stadt, ich hoffe, ihr könnt das verteidigen.“

Dann immer wieder die Frage: Ob etwas die Leute in diesem Jahr besonders auf den CSD treibt. „Ja“, sagt eine Frau am Straßenrand im Tiergarten steht, „die letzten Jahre sind wir nicht mehr gekommen, der CSD war nur noch Selbstbeschäftigung, Selbstbeweihräucherung, Party. Dieses Jahr, mit Nizza, mit Paris, mit Orlando, mit Istanbul, Syrien, Griechenland, München ist der CSD ein Statement.“ Jetzt sei es wichtig, da zu sein.

Zwei Männer, seit 37 Jahren ein Paar und 1984 zum ersten Mal auf dem CSD, sind jedes Jahr da gewesen. „Es geht doch“, sagt einer, „beim CSD nicht nur um sexuelle Orientierung. Es geht auch um Identität und Liebe.“ In diesem Jahr spüren sie sehr, dass es wichtig ist. Einer von ihnen arbeitet an der Paula-Fürst-Schule, an der die Lehrerin und die zwei Schülerinnen waren, die beim Anschlag in Nizza ums Leben kamen. An so vielen Ecken sei die Demokratie in Gefahr. Und wie schnell würden wieder Sündenböcke gesucht: „Muslime, Schwarze, Schwule, Nichtmuslime, ach.“ Was gesellschaftlich erkämpft wurde, sei doch nicht für die Ewigkeit, „es muss verteidigt werden“.

„Was erkämpft wurde, ist doch nicht für die Ewigkeit“

Ein Teilnehmer

So ziehen die leisen Gruppen von der Aktion Sühnezeichen über Fußballfans gegen Homophobie, der Aidshilfe und kleine Schwul-Lesbisch-Trans-Vereine vorneweg. Dahinter kommen die 30 lauten Wagen, auf denen die Bässe wummern, auf, hinter und neben denen getanzt wird. Die Parteien schicken Lkws auf die Piste, diverse Botschaften – aus Mexiko, den Niederlanden, Slowenien, den USA. Auch Tel Aviv hat einen Truck, um für sich zu werben. Die BVG ist dabei, Gewerkschaften, der Springer-Konzern, Siemens, SAP, Deutsche Bank, Mercedes-Benz. Sie schreiben „Diversity“ auf die Laster und: „Thank you for nothing, thank you for everything.“ Wohl wahr. „Man wird sie fragen müssen, was sie dafür tun, dass Diversity auch in jenen Ländern möglich ist, wo sie Geschäfte machen. Wo aber die, die nicht heterosexuell sind, mit Verfolgung rechnen müssen“, sagt eine Frau, die sich auf den Rasen vor der Siegessäule gesetzt hat. Der Partyteil zieht an ihr vorbei.

„Liebe darf nicht strafbar sein“, schreit ein Flaschensammler, nur Dosen und Plastik nimmt er, in sein mitgebrachtes Megafon.