Alles unter eine Glocke

Kritik Ein genauer Blick auf das Training von Fußballerinnen erzählt schärfer und besser als viele steile Thesen: Im Kunstraum Kreuzberg befasst sich eine Ausstellung mit heutiger Sportkultur

Estelle Fenech, „On the Steps of Mary Kom“ Foto: contesting/contexting sport 2016

von Jens Uthoff

Sportkritik von links hat eine lange Tradition. Seit etwa hierzulande die Turnbewegung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand und mit ihr preußisch-militärischer Drill einherging, gab es meist sozialdemokratische Gegenbewegungen; später in der Weimarer Republik drängten Arbeiter- und Rotsportverbände auf eine Alternative zum bürgerlichen Sport und zur sich kommerzialisierenden Sportkultur. In den 1970er Jahren war es dann eher die linke Theorie – mit der Frankfurter Schule und anderen Strömungen –, die sich kritisch mit Körperkultur und dem zunehmenden Warencharakter des Sports auseinandersetze.

Die Ausstellung „Contesting/Contexting Sport 2016 – to re­claim the field with art and activism“ im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien kann man in eine solche Tradition stellen. Allerdings werden in dieser Gruppenschau, die gegen Ende der Fußball-EM begann und kurz nach den Olympischen Spielen enden soll, queere und feministische Perspektiven genutzt. Genauso beschäftigt man sich aber mit historisch gewachsenen Themen, die schon lange Gegenstand von Sportkritik sind: Kommerzialisierung und Eventisierung, Gentrifizierung und soziale Spaltung durch Sportereignisse, Körperkult und Leistungsdenken. Mehr als 50 Künstlerinnen und Künstler sowie Initiativen wollen hier nun insbesondere Diskriminierung und Ausschluss im Sport thematisieren.

Politik des Körpers

Die Arbeiten, Video- und Sound­ins­tallationen, Skulpturen, Fotografien, Collagen, sind breit gefächert. Sie decken so gut wie alle Bereiche der Sportkultur ab – egal ob national oder international, historisch oder aktuell, Breiten- oder Leistungssport. Ein schwules Amateur-Rugbyteam aus Berlin (Berlin Bruisers) kuratiert einen Umkleideraum, Fotografien von verdrängten Bewohnern in Rio de Janeiro werden ausgestellt, Fan­utensilien in einem fingierten Jugendzimmer gezeigt, daneben gibt es Collagen und Videos, die den Sportler(innen)-Körper ins Zentrum stellen.

Dabei überzeugen vor allem die Arbeiten, die einen großen dokumentarischen Anteil haben. Eine recht reduzierte Videoarbeit von Julia Lazarus mit dem programmatischen Titel „Die Brüchigkeit der Spielerinnenkörper“ zeigt etwa die deutsche Frauenfußballnationalmannschaft beim Kraft- und Ausdauertraining in einer Sporthalle. Das knapp zehnminütige Werk bildet Profialltag ab: blaue Gymnastikmatten. Das Quietschen der Schuhe, der Hall der Halle. Pausen, Leerlauf. Anweisungen des Trainers. Viel mehr ist da nicht.

Hier reicht es aus, die Topspielerinnen einmal genau bei kräftezehrenden Trainingseinheiten zu beobachten, die man sonst in der Regel nicht zu sehen bekommt. Der Blickwinkel auf das Nationalteam, das man sonst heute oft nur als herausgeputztes Marketingprodukt wahrnimmt, verändert sich. Auch das Guerreiras Project (Aline Pellegrino, Caitlin Fisher, Adrienne Grunwald, 2010), eine brasilianische Initiative, die sich für Geschlechtergerechtigkeit im Fußball einsetzt, zeigt eindrucksvolle Fotografien aus dem brasilianischen Frauenfußball in wechselnden Standbildern. Auf der Tonspur berichtet die brasilianische Exnationalspielerin Aline Pellegrino, wie sie zum Fußball gekommen ist, was er für sie bedeutet, warum sie den Sport immer noch als Männerdomäne wahrnimmt. Auch, was sich diesbezüglich zum Positiven ändert.

Wie Fußball für Frauen als Selbstermächtigung funktioniert, davon bekommt man einen Eindruck. Diese beiden Arbeiten nehmen sich in ihrer Wertung zurück, lassen den Betrachter entscheiden.

Die Unschärfe zwischen „art and activism“ tut der Ausstellung nicht gut

Es gibt aber auch zahlreiche Arbeiten, die einen eher ratlos zurücklassen: In einem gänzlich schwarz ausstaffierten Raum werden in einer Soundinstallation Stadiongesänge und -geräusche geloopt und übereinandergelegt. Es entsteht ein ziemlicher Soundbrei, der einen aber nicht wirklich an das erinnert, was man in einer Arena hört. In einem weiteren Raum widmet man sich ganz den kommenden Olympischen Spielen in Rio – die wenigen Fotografien und die Plakate von Anti-Olympia-Aktivisten wirken allerdings eher wie die Vorstellung von Initiativen und laden nicht zur Aus­ein­andersetzung ein.

Im nächsten Raum setzt sich dies fort, da werden einfach nur queere Sportverbände und -vereinigungen auf aller Welt vorgestellt. Die Unschärfe zwischen „art and activism“, im Titel angedeutet, tut der Auseinandersetzung mit dem Thema nicht gut.

Bei der historischen Sportkritik von links wurde oft die Frage erörtert, inwieweit sich gesellschaftliche Phänomene im Sport manifestieren oder inwieweit er selbst sie evoziert – hier zumeist nicht. Zudem hat die Schau trotz einiger interessanter Einzelarbeiten einige grundsätzliche Probleme: Sie wirkt willkürlich zusammengestellt, am Ende überladen: hier Leistungssportkritik, da Gentrifizierungsthemen – und einen Schwerpunkt auf queere Sichtweisen auf den Sport.

Sport, das wird auch in der Ankündigung deutlich, ist hier gleich Sport – eine Differenzierung findet kaum statt. Bei der Komplexität der Sportkultur weltweit kann es nicht funktionieren, wenn man alles zusammen unter einer großen Käseglocke namens Sport fasst. Auch wenn zweifelsohne vieles darunter stinkt.

„Contesting/Contexting Sport 2016 – to reclaim the field with art and activism“. Noch bis 28. August, täglich 11 bis 20 Uhr, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz 2