Ein willkommener Gast

Kunst Mit den Skulpturen der Leipziger Künstlerin Laura Eckert eröffnet die Böttcherstraße die Reihe ihrer „Sommergäste“

Verbindet feine mit äußerst brachialen Momenten: Laura Eckerts „Seconds away“ Foto: Tom Dachs/Böttcherstraße

von Radek Krolczyk

Die Bremer Kunstszene ist möglicherweise die inzestuöseste der ganzen Bundesrepublik. In kaum einer anderen Stadt drehen sich die Künstlerinnen und Künstler mit einer solchen Beharrlichkeit immerzu um sich selbst. Das Interesse an Kunst, die nicht aus Bremen kommt, ist gering. Weil man außer der eigenen Klitsche nichts kennt, hält man die hiesige Kunst für Weltklasse. In einer solch miesen Situation muss man dankbar sein, wenn jemand von außerhalb in diese Stadt und in diese Szene kommt – was zugegebenermaßen nur selten passiert.

Nun gab es einen solchen Glücksfall. Denn im Frühjahr übernahm Frank Schmidt die Leitung der Museen Böttcherstraße. Zuvor war der 45-jährige Kunsthistoriker Direktor der gelobten Kunsthalle Emden. Schmidt hat in seinem Haus nun unter dem Titel „Sommergäste“ eine Ausstellungsreihe gestartet, bei der er junge nichtbremische Kunst zeigen will.

Die Serie startete nun mit Laura Eckerts Ausstellung „Schichtwechsel“. Die 1983 in Trier geborene und in Leipzig lebende Bildhauerin zeigt nun in den Räumen des Paula-Modersohn-Becker-Museums und dem Ludwig-Roselius-Museum ihre figürlichen Holzskulpturen. Darunter befinden sich Portraits, hauptsächlich von Frauen, und lebensgroße Ganzkörperfiguren.

Eckert setzt ihre Gestalten zu einem Teil aus massiven Holzblöcken, zu einem anderen aus zersägten Bodendielen zusammen. Das Material stammt aus Leipzig, wo viele Häuser leer stehen. Sie werden nach und nach saniert oder abgerissen. Die Künstlerin bearbeitet das Holz mit Holzspachteln, aber auch mit der Kettensäge. Die Latten werden mit Dübeln und Klammern aneinandermontiert.

Auch wenn das nun alles furchtbar grobschlächtig klingt, sind die Portraits und Figuren doch sehr diffizil gearbeitet. Das grobe Material und die rüde Arbeitsweise sind Teil dieser vielschichtigen Werke. Man kann sagen, dass die Spannung dieser Skulpturen darin besteht, dass sie sowohl sehr feine als auch brachiale Momente aufweisen.

Nehmen wir die Portraits: Die Köpfe sind aus massivem Holz geschnitzt, die Gesichter sind sehr individuell, man hat den Eindruck, Muskeln und Haut wahrzunehmen. Gleichzeitig sind die Augen recht leblos, die Haut pastellblass und die Sprünge im Holz werden zu Sprüngen im Gesicht. Sie ziehen sich wie lange Narben über die Wangen, unterhalb der Augen wirken sie, als hätten sich Tränen ein Bett in die Haut gegraben, ein Sprung am Nasenbein oder im Auge wirkt gleich wie die Folge einer Schlägerei. Diese Köpfe sind dann auf eine aus Dielen gebaute Brustpartie aufgebaut. Im Verhältnis zu den Gesichtern wirken diese amorpher, undeutlicher, pixeliger. Der Übergang verweist auf die Entstehung der Figuren. Sie entstehen oder vergehen an dieser Grenze. Das hängt von der Blickrichtung ab. Oder der Vorstellungskraft.

Bei den stehenden Figuren stellt sich ein sehr ähnlicher Effekt ein: M.I.A., die ausnahmsweise einen Namen hat, stellt eine nach vorn gebeugte Gestalt dar. Während rechts die massiven Beine fest mit innerer Spannung am Boden stehen, löst sich die Figur zu ihrer linken Seite hin in einem bewegten Muster aus Eichendielen auf.

Man lernt, Eckerts Arbeiten im Vergleich mit den Ausstellungen der Böttcherstraße anders zu sehen

Dass Laura Eckerts Figuren ausgerechnet in den Museen der Böttcherstraße zu sehen sind, sollte man nicht zum Anlass für Überinterpretationen nehmen. Die Helden der Böttcherstraße, Paula Modersohn-Becker und Bernhard Hoetger, sind keine ihrer direkten Vorfahren. Dennoch aber lernt man über den Vergleich mit den ständig ausgestellten Bildern und Skulpturen der Worpsweder Künstler, Eckerts Skulpturen anders zu betrachten.

Über Modersohn-Beckers Portraits etwa fällt die Dynamik der Gesichter in beiderlei Darstellungen auf. Hoetgers alt­ägyptische Figuren (die momentan allerdings an die Worpsweder große Kunstschau verliehen sind) lassen auch bei Eckert an altertümliche Statuen denken. Eine leicht überlebensgroße Gestalt steht aufrecht, ihre Arme sind fragmentiert. Diese Merkmale erinnern an die Pyramidenwächter.

Die unvollendete Figur, das Infinito, gibt es in der Bildhauerei erst seit Rodin, wie Frank Schmidt in seinem Katalogtext schreibt. Wenn sich eine solche Skulptur nun auf die Antike bezieht, dann also auf die beschädigte Skulptur. In den Räumen der gotischen Sammlung Roselius’hat Schmidt eines von Eckerts Portraits zu einer alten Ikone gestellt. Natürlich gehen beide Frauengestalten nicht deckungsgleich zusammen. Aber sie berühren sich doch immerhin. Nicht zuletzt, weil es so scheint, als würden Eckerts Figuren von ihrer eigenen historischen Bedingtheit eine Ahnung haben.

Die Ausstellung ist bis zum 25. September in der Böttcherstraße zu sehen.

Der Autor ist Betreiber der Galerie K‘.