piwik no script img

Exil-Briten nach dem Brexit„Wir machen uns Sorgen“

Die britische Expat-Community in Spanien ist verunsichert. Man fürchtet soziale Einschränkungen und die Abwertung des Pfundes.

Eleen (l.) und David Haxon (r.) und Freunde beim Bowls-Spielen im Bowls Club in Jávea. Foto: Reiner Wandler

Auch im Sommer am Mittelmeer regnet es ab und an. Heute ist so ein Tag. Die Wolken hängen tief in Jávea. Es sind Gewitterschauer „Das Gute ist, es dauert nie lange“, sagt David Haxon. Der 72-jährige Brite lebt mit seiner gleichaltrigen Frau Eleen seit 1989 in Spanien. „Des Wetters wegen“, erklären die beiden.

Erst arbeitete David für eine britische Immobiliengesellschaft, die Wohnprojekte für sonnenhungrige Ausländer plante und baute. Jetzt ist er Rentner. Das Paar lebt in einer kleinen luxuriösen Wohnsiedlung. Sie verbringen ihre Zeit am Strand, nehmen an allerlei Kursen und Ausflügen der sogenannten Universität des Dritten Alters – eines Vereins für britische Rentner – teil und kommen zweimal die Woche hierher zum Jávea Bowls Club. Der Platz für das typisch britische Spiel liegt dort, wo sich der Mittelmeerort Jávea die Hügel Richtung Hinterland hinaufzieht.

Ordentlich weiß gekleidet sitzen die Haxons mit Freunden auf der überdachten Terrasse am Rande des Greens, des Spielfeldes aus Kunstrasen, und warten auf das Ende des Regens. Zeit zum Reden über das Thema, das seit Wochen alle beschäftigt: Der Brexit – der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union.

Problem Krankenversicherung

„Seit sie zu Hause beschlossen haben, Europa zu verlassen, machen wir uns Sorgen“ erklärt Eleen. Es ist nicht der Kursverfall des Pfundes, der die beiden beschäftigt. Trotz eines Verlustes von 20 bis 25 Prozent reichen den beiden die üppige Rente und ihre Anlagen.

„Das Problem ist die Krankenversicherung“, sagt David. Wenn Großbritannien erst einmal aus der EU ausscheidet, gilt das Abkommen, nach dem jeder EU-Bürger überall in der Union ein Recht auf ärztliche Versorgung hat, nicht mehr. „Und in unserem Alter bekommen wir keine bezahlbare private Krankenversicherung mehr. Wir haben doch alle irgendwelche gesundheitlichen Probleme“, sagt David.

Die beiden verstehen die Welt nicht mehr. „Dass es knapp werden könnte, ja. Aber das die Mehrheit für den Austritt stimmt, das dachten wir nicht“, sagt Eleen. „Hier waren wir alle für den Verbleib in der EU“, fügt David hinzu.

Allerdings durfte kaum einer wählen. Denn wer länger als 15 Jahre außerhalb des Vereinigten Königreiches lebt, verliert das Wahlrecht. Und das gilt hier im Club und in der Rentner-Uni für fast alle. „Wir hoffen jetzt, dass die Spanier das alles irgendwie regeln“, sagt David. Die Expats, wie die Briten die im Ausland lebenden Landleute nennen, seien schließlich ein wichtiger Wirtschaftsfaktor an der Küste.

Wie in „Klein England“

Rund 300.000 Briten leben ständig in Spanien, die meisten am Meer. Noch einmal 200.000 dürften eine Ferienwohnung haben, die sie regelmäßig besuchen. Die Marina Alta, die Region rund um Jávea in der Mittelmeerprovinz Alicante, ist eine der beliebtesten Gegenden unter den sonnenhungrigen Auswanderern. Knapp die Hälfte der rund 28.000 Einwohner von Jávea sind Ausländer. Die Briten stellen mit einem Drittel davon die größte Gruppe.

Jávea wächst seit den 1960er Jahren. Entlang der Küste und hinauf in die Hügel ziehen sich die Siedlungen. Sie haben die Orangenhaine aus dem Landschaftsbild verdrängt. Anders als am Rest der Küste dürfen hier keine hohen Wohnblocks gebaut werden – so bestimmt es eine Gemeindeverordnung. Das Ergebnis: Jávea besteht aus dreistöckigen Häusern und Villen. Das Städtchen mit seinen malerischen Buchten wurde zum Ort für gehobenes Niveau.

Wir hoffen, dass die Spanier das irgendwie regeln. Die Briten sind ein Wirtschaftsfaktor

David Haxon, Rentner

Villalux heißt so auch die Immobilienagentur von Daniel Sanders. Der 52-Jährige aus London ist einer von über 100 Maklern in Jávea. Sanders kam vor 17 Jahren aus gesundheitlichen Gründen ans Mittelmeer. „Ich habe Rückenverletzungen von einem Motorradunfall“, berichtet er. Das warme Klima bekomme ihm besser als das feuchte, regnerische England. Sanders’ Agentur liegt mitten im Jávea Park, einem Stadtteil aus den 1970er Jahren. „Klein England“ nennen es die Spanier.

Hier gibt es britische Supermärkte, Pubs, einen englischen Bäcker, mehrere Immobilienmakler, englischsprachige Anwälte, Bankfilialen und Versicherungsagenturen. Selbst ein Hinterhofpuff kündigt seine Dienste in der Sprache Shakespeares an.

„Immobilieneigentum bewegt die gesamte Wirtschaft an der Küste“, sagt Sanders. Auch er blickt etwas beunruhigt in die Zukunft. „Nach der Finanzkrise hat sich der Markt in den letzten zwei Jahren erstmals wieder erholt – und nun kommt der Brexit“, sagt er. Noch seien keine Panikverkäufe zu beobachten, doch ausschließen will er eine solche Entwicklung nicht. „Wer jetzt verkauft, bekommt viele Pfund für seine Euros“, sagt Sanders.

Für ihn war der Ausgang der Volksabstimmung über die EU keine Überraschung. „Selbst in meinem relativ gut gebildeten und wohlhabenden Umfeld waren viele für den Brexit“, sagt Sanders. Auch er hofft darauf, dass die Spanier den Briten, die im Lande leben, weiterhin alle Rechte zugestehen. „Sie brauchen uns, wir sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor“, ist auch er sich sicher.

Doch: „Spanien kann nur im Rahmen der EU handeln. Und die EU kann es sich eigentlich nicht leisten, Großbritannien allerlei Sonderrechte einzuräumen, wenn sie erst einmal die EU verlassen haben. Denn das würde andere Länder zum Austritt ermutigen“, analysiert der Makler die Lage.

Luxusvillen im Ibiza-Style

Sanders’ Agentur richtet sich an diejenigen, die Immobilien im oberen Preissegment suchen. Der Makler klappt sein MacBook auf und zeigt Fotos seiner derzeitigen Bauprojekte. Moderne Luxusvillen im „Ibiza-Style“. „So etwas kostet 750.000 bis 1 Million Euro. In London und Umland ist ein vergleichbares Haus fünfmal so teuer. „Solange das so ist, werde ich Kunden finden, die Sonne und Meer wollen, um ihren hart verdienten Reichtum zu genießen“, sagt er.

Die Küste rund um Jávea bietet den sonnenhungrigen Briten alles, was sie brauchen, und in ihrer Sprache. Ob Schlosser, Schreiner, Installateure oder Friseur- und Schönheitssalon: aus allen Sparten haben sich hier Briten niedergelassen. Sie leben meist in der Stadt in den wenigen Wohnblocks so wie hier in Jávea Park. Ihr Feierabendbier genießen sie in Bars wie dem „Legends“ unweit von Sanders’ Immobilienagentur. Auf fünf großen Bildschirmen läuft Sport. Heute ist schottischer Fußball angesagt.

Kneipenwirtin Chris aus London lebt seit 1991 in Jávea. Mit einer ihrer Stammgäste, Sarah-Jane, die seit 9 Jahren in Jávea als Friseuse arbeitet, versucht sie eine Erklärung für das Abstimmungsergebnis zu finden. Eigentlich sei das Brexit-Referendum eine Abstimmung über die Immigration gewesen. „Und das hat mit der EU nur bedingt zu tun“, sagt Chris. „Das Problem ist der britische Sozialstaat. Alle kassieren, egal woher sie kommen und egal wie lange sie im Land sind“, fügt sie hinzu. Für sie sind „Pakistaner, Muslime. Afrikaner und Osteuropäer“ alles nur „Schnorrer“, die „zudem das Lohnniveau senken“.

Gast Sarah-Jane ist damit nicht einverstanden. „Die Immigranten machen doch die Jobs, die eh kein Brite mehr will“, ist sie sich sicher. „Und ob es wirklich so einfach ist, das Ergebnis mit der Einwanderung zu erklären, das wissen wir doch gar nicht. Wir haben keine wirkliche Verbindung mehr mit unserem Land“, sagt Sarah-Jane. Sie hätte wählen dürften, tat dies aber nicht. Chris, die viel von den „guten alten Zeiten“ redet, „als Großbritannien noch Großbritannien war“, hätte für den Verbleib gestimmt. „Aus geschäftlichen Gründen tat sie dies nicht. Obwohl ich sehr gut verstehen kann, dass die Briten ihr Land zurückwollen“, sagt sie.

Hitzige Debatten

Nigel Peel schüttelt nur den Kopf, wenn von den „guten alten Zeiten“ die Rede ist. Der 46-jährige Gas- und Wasserinstallateur aus Yorkshire erinnert sich an seine Kindheit und Jugend. „Bergarbeiterstreik, Margaret Thatchers unsoziale Politik, Tony Blair, der nur wenig änderte“, fällt ihm dann ein. „Ich ging, weil ich all das überhatte“, sagt Peel, der mit seiner Frau vor 15 Jahren nach Jávea kam. „Ich hätte gerade noch abstimmen können, da ich erst Weihnachten 15 Jahre außer Landes bin. Aber die Briefwahlunterlagen sind nie angekommen“, sagt Peel.

Er wollte für den Verbleib stimmen. „Wir hatten am Telefon hitzige Debatten in unserer Familie“, berichtet Peel, der „am Morgen, als das Ergebnis kam, wie gelähmt“ war. Er spüre bereits die ersten Auswirkungen des Brexit: „Viele meiner Kunden sind schlecht bei Kasse, da der Pfundkurs eingebrochen ist. Sie reparieren jetzt ihre Installationen selbst oder schieben die Arbeiten einfach hinaus.“ Peels Sohn Robert wurde vor 10 Jahren in Spanien geboren. „Wenn er 18 wird, kann er entscheiden, ob er Brite bleibt oder Spanier und damit EU-Bürger sein will“, sagt Peel. Dieser Gedanke tröstet ihn.

Eine der jungen Britinnen, die den älteren Menschen ihr Stimmverhalten übel nimmt, ist Jaimee Hutt. Die 31-Jährige, die vor 12 Jahren mit ihren Eltern nach Jávea kam, ist Geschäftsführerin des Bay Radio, des größten englischsprachigen Senders in Spanien, der die ganze Küste von Valencia bis hinunter nach Murcia mit Nachrichten aus der Heimat versorgt.

„Wir haben eine Online-Umfrage gemacht, und eine deutliche Mehrheit unserer Hörer war gegen den Brexit“, sagt sie. Ständig bekomme sie Anrufe in der Redaktion. Die Menschen fragten besorgt, wie es denn nun weitergehen soll. „Wir inter­viewen in letzter Zeit immer öfter Anwälte, die sich mit Ausländerrecht auskennen. Aber auch sie wissen nichts Genaues zu sagen“, fügt Hutt hinzu.

Noch sei alles ruhig. Der Werbemarkt sei stabil. „Doch natürlich machen auch wir uns Sorgen. Eigentlich wollten wir mit unserem Studio in größere Räumlichkeiten umziehen, doch jetzt warten wir erst einmal ab“, sagt sie zum Abschied.

Auch die britischen Behörden wissen keine Antwort auf die Frage nach der Zukunft. „Ich habe mehrmals beim Konsulat angerufen und keine richtige Antwort bekommen“, erklärt Suzanne McAllister. Die 72-Jährige Britin ist Gemeinderätin für die konservative Partido Popular (PP) im Dörfchen Llíber im Hinterland von Jávea. „Noch“, sagt sie. „Denn wenn Großbritannien aus der EU austritt, verlieren wir Briten das Recht, bei Kommunalwahlen zu wählen und gewählt zu werden.“

Der Weinbauort Llíber mit seinen 1.100 Einwohnern ist eine der Gemeinden, in denen die Briten die Mehrheit stellen. „Die meisten leben seit vielen Jahren hier und können noch immer kein Spanisch“, erklärt McAllister. Dadurch wird die Gemeinderätin, die einst mit ihrem Ehemann von Jersey kam, um in einem spanischen Hospital als Krankenschwester zu arbeiten, zur Anlaufstelle für alle Sorgen und Nöte in der Gemeinde.

Zweierlei Maß

„Die meisten Briten in Llíber waren für den Brexit, obwohl natürlich kaum jemand wählen konnte“, erzählt McAllister. Auch hier war viel die Rede von Immigranten und Überfremdung. „Dabei sind wir doch selbst Immigranten hier in Spanien“, schüttelt die weißhaarige Frau den Kopf. „Double Standard“ – mit „zweierlei Maß messen“ – sei eben eine typische britische Eigenschaft.

Doch jetzt sind auch viele derer, die für den Brexit waren, verunsichert. Täglich schauen bei McAllister Landsleute vorbei, die wissen wollen, wie es denn nun weitergeht. „Vielleicht handelt die EU mit Großbritannien bilaterale Abkommen aus und wir bekommen einen Staus wie die Schweiz oder Norwegen“, hofft die Gemeinderätin.

Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen. Die Bowling-Freunde unten in Jávea haben ihre Kugeln ausgepackt und Mannschaften gebildet. „Lasst uns spielen. Wer weiß, ob wir in zwei Jahren noch hier sind“, scherzt einer. Die Haxons schauen sich an, dann sagt David: „Wir ­gehen nicht. Wenn es keinen anderen Ausweg gibt, nehmen wir eben die spanische Staatsbürgerschaft an.“ – „Wir sind lange genug hier, die Sprache beherrschen wir auch“, stimmt seine Frau Eleen dieser Notlösung zu.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Was der Artikel völlig außer Acht lässt, ist wieviel Geld die vielen sonnenhungrigen Rentner das exzellente, dem britischen weit überlegene spanische Gesundheitswesen kosten, ohne dass diese in irgendeiner Weise jemals in dieses System eingezahlt haben. Ich kenne viele Spanier, die sich freuen würden, diese Last los zu werden.