Hardcore-Seifenoper

RIVALITÄT In den frühen 1980er-Jahren waren Black Flag eine Zeit lang die beste Band der Welt – wenn man laute Gitarren mochte und ein nicht durchweg konservatives Verständnis von Punk. Ironischerweise konkurrieren inzwischen gleich zwei Bands mit demselben alten Material. Flag, die bessere der beiden, ist jetzt in Hamburg zu sehen

So richtig viel hat sich da nicht geändert: Das obere Black-Flag-Plakat, gestaltet 1983 von Raymond Pettibon, hängt inzwischen im Museum – genauer: noch bis zum 11. September in der Harburger Sammlung Falckenberg. Mit dem unteren, ebenfalls aus Pettibons Tuschfeder, bewarb man erst kürzlich Konzerte Foto: Abb.: Egbert Haneke/Sammlung Stefan Thull/Deichtorhallen, Promo

von Alexander Diehl

Was? Das Thema in dieser Woche sind alte Männer mit lauten Gitarren? Kein Problem. Denn laut das waren sie damals, und ihr Publikum manchmal derart aufgepeitscht, dass kaum einer US-amerikanischen Punkrock-Band ein Ruf vorauseilte, wie Black Flag ihn sich in ziemlich kurzer Zeit erwarben. Gut, Jello Biafra und seine Dead Kennedys vielleicht (bitte beachten Sie auch die Kolumne rechts), der wird ähnlich unschöne Erfahrungen gemacht haben mit übergriffiger Polizei, Redneck-Attacken und betrügerischen Konzertveranstaltern. Und noch eine Parallele gibt es: Hier wie dort entspannen sich zuletzt seifenopernhafte Konflikte zwischen vormaligen Mitstreitern: um Geld und mehr oder minder lukrative Rechte – aber auch schlicht um Eitelkeiten der beteiligten alten Männer.

Zurück zu Black Flag, die 1979 ihr erstes Konzert gaben, in Redondo Beach, einem dieser zahllosen und doch ziemlich isolierten Suburbs von Los Angeles. Hier gedieh in den späten 1970er-Jahren eine zumindest in manchen Augen fruchtbare Umgehensweise mit Vorort-Langeweile und Reagan-Regierung: Zumeist junge weiße Männer kreuzten den ortstypischen Surfsound, also eine eher sehnige denn muskulöse Rock-’n’-Roll-Spielart, mit dem Punkrock, der gerade aus Großbritannien (zurück) kam.

Gegen die Cops und Hippies

Nun muss, wer die Sache mit dem Punk ernst nimmt, und sei’s nur für ein paar pubertäre Jahre, sich natürlich absetzen von dem, was schon da ist; wer da ins – zumindest zu Teilen – liberalere, gegenkultureller geprägte Kalifornien geboren wurde, hätte also gegen Obrigkeit und Hippie-Eltern gleichzeitig zu sein. Manche Zeitgenossen suchten, nun ja, ihr Heil in Nazi-Koketterie, Black Flag eher in einer Kombination aus einer demonstrativen „Eigentlich reichen doch auch zweieinhalb Akkorde“-Rauhbeinigkeit bei gleichzeitigem Eben-gerade-nicht-Doofsein.

Weil sie es stets langweilig fanden, immer dasselbe zu spielen, klingen keine zwei Alben der Band gleich; wo Skateboard-Punkrock nicht ohne Asi-Attitüde war, wurden jazzinspirierte Psychodramen. Was intern auch zu Spannungen führte: Irgendwann will Henry Rollins, der mit Abstand bekannteste unter den diversen Black-Flag-Sängern, angeregt haben, es könnte etwaigem Erfolg zuträglich sein, die Leute da draußen nicht dauernd zu überfordern (Wer wiederum mal sehen will, was ein Raum voller Nieten- und Irokesenschnitt-Punks mit dem langhaarigen jesushaften Rollins anstellt: Es kursiert ein famoses Live-Video, Black Flag in England in den frühen 80-ern. Aber seien Sie auf Speichelflug gefasst.).

So richtig erfolgreich waren Black Flag nie, bemisst man das am Geld. Umso prägender waren ihr Do-it-yourself-Ethos, ihre selbstorganisierten Tourneen, die Platten auf dem – wiederum Gitarrist Ginn gehörenden – SST-Label, ein paar Jahre lang der Leuchtturm des unabhängigen Musikschaffens und -verkaufens (bis dann das inzwischen allzu Bekannte geschah: Weil keine Verträge geschlossen wurden, landete zu wenig Geld auch bei den Künstlern, die meisten trennten sich im Zorn). Und dann natürlich das Logo, jene vier vertikal versetzten schwarzen Balken, die sich Black Flag von Greg Ginns Bruder Raymond – Pettibon – gestalten ließen: Es gibt wohl kein häufiger auf irgendwelche Fan-Hautpartien gestochenes Motiv.

Wenn nun eine Band namens Flag auf deutschen Bühnen steht, darf die nicht mit den ebenfalls wieder existierenden Black Flag verwechselt werden: Letztere sind heute im Wesentlichen Ginn und je von ihm ein- und ausgewechselte Mitmusiker. Flag hingegen sind gleich vier irgendwann dabei Gewesene – die Sänger Keith Morris und Dez Cadena, Bassist Chuck Dukowski, Schlagzeuger Bill Stevenson – sowie Stephen Egerton, lange bei den benachbarten Descendents (wo wiederum Stevenson sehr viel Zeit zubrachte).

Die eine wie die andere Band tut nun kaum mehr, als die maximal schmissige, von Lieblingsstücken getränkte frühe Phase des Black-Flag-Schaffens zu feiern – da ist die Ironie kaum zu übersehen, wenn vom Verändern-aus-Prinzip so wenig blieb. Nun, in den vergangenen Jahren sind ja schon ganz andere Vertreter von Punk und Folgendem rückfällig geworden (für alles Weitere lese man Simon Reynolds’ „Retromania …).

Nachtrag: Killer Klowns

Etwas früher griffen im San Fernado Valley ein paar junge Männer nach einem Auftritt von The Damned zu den Gitarren. The Dickies galten mit ihrem eher komödiantischen Punkrock zeitweise als die Schnellsten in ihrer Nische und waren irgendwelchem Rockstartum bestenfalls 1988 mal nahe: Da steuerten sie den Titelsong zum obskuren Film „Killer Klowns from Outer Space“ bei. Apropos Unterhaltungsindustrie: Der Disney-Konzern war kein bisschen amüsiert über ihr 1983er Album „Stukas Over Disneyland“. Ob sie nach Neu- und Umbesetzungen – aber ohne in aller Öffentlichkeit gewaschene Schmutzwäsche – das alte Tempo halten?

Flag: Fr, 29.7., 21 Uhr, Knust; The Dickies: Mo, 1.8., ebd.