Wo Schädlinge miternten wollen

Kräuterschnecken Die spiralförmig angelegten Hochbeete erfreuen sich bei Hobbygärtnern großer Beliebtheit. Unser Autor kann die Begeisterung für diese „klotzigen Arrangements“ nicht verstehen

Bei aller Begeisterung: Wie kann man sich mit einer Kräuterschnecke den Garten verunstalten? Foto: PermaKulturgut.de/Wikimedia

von Helmut Höge

Ich kann mir nicht helfen, ich finde Kräuterschnecken scheiße: diese ganzen spiralförmig mit Natur- oder Plastiksteinen angelegten Hochbeete in den Gärten der „Frische Kräuter“-Liebhaber. Wikipedia bezeichnet sie als ein dreidimensionales Beet, in dem Küchenkräuter in permakultureller Gestaltung angebaut werden.

Bei einem Haus auf dem Land von Freunden traf ich 1997 eine Frau, die dabei war, wild wachsende Kräuter zu sammeln, aus denen sie dann zwei Suppen machte. Sie schmeckten hervorragend. Als ich sie das nächste Mal traf, hatte sie bereits vier Läden mit dem Namen „Soupkultur“ in Berlin aufgemacht. Das aber nur nebenbei.

An den Kräuterschnecken missfällt mir auch noch, dass ich bei jeder den Verdacht habe: So – spiralistisch – stellen die Erbauer sich auch ihr eigenes vegetatives Leben vor. Zugegeben, da schwingt mein Neid auf das Gartengrundstück mit, samt Ärger darüber, dass man es so mit einer klotzigen Kräuterschnecke verunstaltet. Und da wir gerade bei Schnecken sind: Es gibt links- und rechtsgedrehte Schneckengehäuse. Ähnlich wie bei den links- und rechtshändigen Menschen überwiegen auch bei den Schnecken die rechtsgedrehten. Bei manchen Arten sind die linksgedrehten äußerst selten. So wurden linksgängige „Turbinella“-Schnecken, auch Hindu- Glocken genannt, in Indien einst mit Gold aufgewogen. Für die Schnecken-Benamer aus dem Westen war dagegen „links“ etwas grundlegend Falsches, weswegen sie die „Blitzschnecke“, die häufigste linksgängige Art aus dem Nordatlantik, gemeinerweise Busycon perversum nannten.

Ich bin auch von der Küste und Linkshänder. Als ich eingeschult wurde, wollte man mich noch mit Gewalt zur Rechtshändigkeit zwingen, glücklicherweise waren meine Eltern „instinktiv“ dagegen. Auf die Schnecken bezogen meinte der Biologe D’Arcy Thompson: „Warum in der Windungsrichtung der Schneckengehäuse auf der ganzen Welt in Vergangenheit und Gegenwart die eine Form so überwältigend häufiger ist als die andere, weiß niemand.“ Bei den Kräuterschnecken-Besitzern weiß auch niemand, warum sie fast ausschließlich rechtsgedrehte Hochbeete bauen. Wozu sie sich mit Material bei den Bau-, Heimwerker- und Blumengroßmärkten eindecken.

„Kräuterspiralen erfreuen sich schon seit Jahren großer Beliebtheit. Denn auf wenig Raum kann man Kräuter mit verschiedensten Standortansprüchen zusammenpflanzen,“ heißt es in einer „Bauanleitung“ des Magazins Mein schöner Garten. „Die Anlage sollte nicht zu klein ausfallen, damit sich die verschiedenen Kräuter gut entfalten können.

Für ein gutes Dutzend Pflanzen in einer etwa 80 Zentimeter hohen Kräuterspirale müssen Sie einen Mindestdurchmesser von rund drei Metern einplanen, das entspricht einer Fläche von etwa sieben Quadratmetern.“

Wenn aber der Garten am Haus oder an der Hütte nur 70 Quadratmeter groß ist, dann sieht die Kräuterschnecke aus wie ein misslungener Springbrunnen. Nun zu seinem Inhalt: Natürlich ist es eine feine Sache, wenn man nur fünf Schritte zu gehen braucht, um selbstgezogene Kräuter – von toskanischem Rosmarin über schwäbischen Lavendel bis zu dänischer Pfefferminze – ernten zu können. So jedenfalls stellt sich „Mein schöner Garten“ das vor. Und tatsächlich erzählte mir neulich ein Kleingärtner, er habe sich das ganze letzte Jahr über mit seinem Salat versorgen können. Er war gleichermaßen auf sich und seinen Salat stolz. Dazu braucht es aber mehr als eine Kräuterschnecke, die ja sowieso auf Vielfalt hin spiralistisch bepflanzt werden soll.

Was Kräuterschnecken-Erbauer meist nicht bedenken: Die Pflänzchen brauchen täglich Wasser

Was die meisten Kräuterschnecken-Erbauer aber nicht bedenken, im Wahn ihres Plans, dass die kleinen Pflänzchen darin mindestens während der sommerlichen Urlaubszeit fast täglich gegossen werden müssen, wenn nicht sogar zwei Mal. Und dass alle möglichen „Schädlinge“ partout miternten wollen. Manchmal übernimmt dann seufzend die Frau des Erbauers die physische und psychische Pflege der Pflanzen, wobei sie sich von Saison zu Saison zu einer Hobbybotanikerin (Citizen Scientist neuerdings genannt) weiterentwickelt – und sich dabei immer mehr der wahren Vielfalt (Diversity) verpflichtet fühlt. Das hat zur Folge, dass immer mehr schlichte Kräuter durch farbenprächtige Blumen ersetzt werden. Ich sah Kräuterschnecken, in denen vor allem Geranien blühten – knallrot.

Sie wurden von den Nachbarn am meisten bewundert. Ich sah aber auch viele Kräuterschnecken, an denen ihr Besitzer augenscheinlich jegliches Interesse verloren hatte. Was den sogenannten Unkräutern Gelegenheit gab, alle Nutzkräuter zu überwuchern. Die Beete sahen zum Teil aus wie die Betonringe, die in den Achtzigerjahren von den Gartenbauämtern an den Straßenrändern der Problembezirke aufgestellt, bepflanzt – und danach so gut wie vergessen wurden.

Statt mit blühenden Sträuchern füllten sie sich mit üblem Müll. Beim Umweltsenat erfuhr ich von gleich zwei Abteilungsleitern: „Die Waschbetonkübel sind out!“