AMERICAN PIE

Football ist brutal. Die NFL-Profis haben nun zumindest eine bessere medizinische Betreuung durchgesetzt

Erschütterte Schädel

Dass die Leibesübungen, in ihrer modernen Ausformung als Spitzensport zumal, nicht notgedrungen der Gesundung des Menschen dienlich sind, das ist – nicht erst seit Robert Enke – eine nicht allzu neue Erkenntnis. Aber nirgendwo sonst, außer vielleicht im Boxen, wird die Diskussion wohl so intensiv geführt wie in der NFL (National Football League). Kein Wunder: Schließlich gehört es zur Grundidee des Spiels, den Gegner möglichst gewalttätig zu Boden zu bringen.

Vor allem die Spielergewerkschaft hat in den letzten Jahren das Thema immer wieder in die Öffentlichkeit gebracht. Und nun einen Teilerfolg errungen: Die Liga, die sich bislang gegen Veränderungen sperrt, will nun von den Teams verlangen, dass die Spieler nach Gehirnerschütterungen von unabhängigen Neurologen untersucht werden. Damit soll sichergestellt werden, dass sie von ihren Arbeitgebern nicht zu früh wieder zurück auf den Platz geschickt werden, sondern die Verletzung angemessen auskurieren. Die Details der neuen Regelung sind noch nicht klar, aber das prinzipielle Einlenken der NFL könnte einen grundsätzlichen Wandel im amerikanischen Sport markieren.

Denn Gehirnerschütterungen sind es, über die fast alle Footballprofis klagen. Die aber im Gegensatz zu Muskel-, Sehnen- oder Knochenverletzungen immer noch nicht wirklich ernst genommen werden. Umfragen der Gewerkschaft haben ergeben, dass mehr als die Hälfte der Mitglieder bereits einmal eine Gehirnerschütterung erlitten hat. Im Harte-Kerle-Sport Football aber wird ein diesiges Gefühl im Kopf schon gern mal einfach weggeschüttelt.

Wie gefährlich NFL-Profis leben, wurde erst wieder am vergangenen Wochenende deutlich. Ausgerechnet die Quarterbacks der beiden Teams, die sich in der letzten Super Bowl gegenüberstanden, mussten aus dem Spiel genommen werden: Sowohl Ben Roethlisberger von den Pittsburgh Steelers als auch Kurt Warner von den Arizona Cardinals durften auf der Bank Platz nehmen, nachdem sie Schläge gegen den Kopf erhalten hatten. Warner, der in seiner Karriere zumindest vier Gehirnerschütterungen gezählt hat, berichtete, seine Sicht sei anschließend „doch etwas unklar“ gewesen. Bei den St. Louis Rams erwischte es sogar gleich drei Spieler, die auf Gehirnerschütterung untersucht werden mussten.

Das Gefährliche an Gehirnerschütterungen ist nicht nur, dass sie unterschätzt werden, sondern auch, dass ihre Langzeitfolgen nicht ausreichend erforscht sind. Eine erste von der NFL in Auftrag gegebene Telefonumfrage unter mehr als 1.000 Spielern legt nun nahe, dass ehemalige Profis eine signifikant höheres Risiko haben, an Alzheimer oder ähnlichen Demenzerkrankungen zu leiden, als der durchschnittliche Amerikaner. Die Liga lässt nun erforschen, ob es einen direkten Zusammenhang gibt zu Sportverletzungen. Ergänzt werden diese Ergebnisse von erschütternden Einzelschicksalen: Immer mehr ehemalige Profis gestehen Suchtkrankheiten und Depressionen, berichten von Stimmungsschwankungen und Verfolgungswahn, viele leiden an Demenz oder begehen Selbstmord. Drei Profis haben deshalb im September angekündigt, ihre Gehirne der Boston University zu spenden, damit diese Langzeitfolgen besser erforscht werden können.

Die NFL-Spielergewerkschaft hofft nun, so einer ihrer Sprecher, dass die erreichten Verbesserungen sich auch in anderen Ligen durchsetzen mögen. Schließlich wird der Sport am College oder in der High School kaum weniger brutal betrieben. Im Oktober 2008 starb der erst 16-jährige Ryne Dougherty in New Jersey nach einer zweiten Gehirnerschütterung innerhalb von nicht einmal vier Wochen an Gehirnblutungen. Nein, gesund ist Football wirklich nicht.

THOMAS WINKLER