Forscher fürchten den Brexit: Der Knackpunkt ist die Reisefreiheit
Britische Wissenschaftler klagen nach dem Brexit darüber, dass Kollegen auf dem Festland gemeinsame Anträge auf EU-Fördermittel ablehnen.
Grund ist die Förderung der EU, die für viele Universitäten und Institute ein kaum verzichtbares finanzielles Standbein ist. Knapp 80 Milliarden Euro hat Brüssel für vielversprechende Projekte unter dem Namen Horizon 2020 für den Zeitraum 2014 bis 2020 bewilligt. Wenn aber die britischen Spezialisten künftig keine EU-Bürger mehr sind, droht ihnen der Ausschluss aus dem Kreis der Empfänger dieses Geldsegens. Bereits jetzt klagen britische Forscher über eine schleichende Entfremdung zwischen ihnen und den Kollegen jenseits des Kanals.
Der Knorpel- und Gelenkspezialist Ali Mobasheri von der Universität Surrey berichtet, Forscher in Belgien und den Niederlanden hätten einen gemeinsamen Antrag auf EU-Mittel für ein Forschungsprojekt zu personalisierter Medizin abgelehnt, da britische Partner ein Risiko für die Finanzierung der Laborarbeiten darstellten.
Für Mobasheri geht es nicht nur ums Geld. Bitter ist auch, dass die niederländischen Kollegen über eine einzigartige Patientengruppe verfügen, zu der Mobasheri und seine britischen Partner nun keinen Zugang mehr haben. Über seine Kollegen in den Niederlanden und Belgien sagt er im Forscher-Netzwerk TES: „Das sind Leute, die wir wirklich gut kennen, respektieren und denen wir vertrauen. Es ist der Brexit, der einen Keil zwischen uns getrieben hat.“
Die Erfahrungen von Mobasheri sind kein Einzelfall. Die Zeitung The Guardian zitiert aus einer vertraulichen Umfrage der Russel-Gruppe der britischen Elite-Universitäten wie Oxford oder Cambridge, nach der vielfach Briten als Unsicherheitsfaktor bei den Förderanträgen empfunden werden.
Brain-Drain befürchtet
Für die Forschung im Vereinigten Königreich geht es um viel. Großbritannien ist der zweitgrößte Empfänger von EU-Forschungsgeldern. Allein 2013 überwies Brüssel 1,4 Milliarden Euro nach London. Rund zwölf Prozent aller Koordinatoren für Projekte, die Horizon-2020-Mittel erhalten, stammen aus Großbritannien. Und rund 16 Prozent der bislang von Horizon 2020 ausgeschütteten Gelder flossen in Forschungseinrichtungen auf der Insel. Universitäts-Präsidenten fürchten nicht nur den Wegfall finanzieller Mittel, sondern auch einen „Brain-Drain“.
Künftig könnten internationale Spitzenforscher einen Bogen um britische Einrichtungen machen. „Wenn die Attraktivität des Vereinigten Königreichs für Forscher unter einer Visumspflicht leidet, wird das einen enormen Einfluss auf die Anziehungskraft für Forscher in der EU haben“, erklärt Generalsekretär Kurt Deketelaere von Leru – einem Verband von 21 forschenden Universitäten in Europa, dem auch fünf britische Unis angehören.
Derzeit stammen 27 Prozent der Hochschulmitarbeiter in Großbritannien aus dem Ausland. Das könne sich dramatisch verändern, sagte Deketelaere dem Deutschlandfunk. Auch beim wissenschaftlichen Nachwuchs könnten britischen Universitäten harte Zeiten bevorstehen. Durch das EU-geförderte Erasmus-Programm studieren pro Jahr in Großbritannien etwa 125.000 ausländische Studenten. Sie sorgen für einen Umsatz von 2,2 Milliarden Pfund und sichern damit 19.000 Jobs auf der Insel. Knapp ein Viertel aller Auslandssemester von deutschen Studenten werden in Großbritannien realisiert.
Auch deutsche Forscher betroffen
Der Brexit treibt aber nicht nur britischen Forschern die Schweißperlen auf die Stirn. Durch die Vernetzung der wissenschaftlichen Welt stellt sich auch für viele deutsche Forscher die bange Frage nach ihren Perspektiven. Mit 5.200 Forschern an Universitäten stellt Deutschland die größte internationale Gruppe im Königreich. In 42 Prozent aller Horizon-2020-Projekte mit deutscher Beteiligung arbeiten auch britische Kollegen.
Bundesforschungsministerin Johanna Wanka warnt deswegen in der „Deutschen Welle“: „Wenn wir unsere britischen Partner verlieren sollten, wird dies auch auf die deutsche Forschung enorme Auswirkungen haben.“
DFG-Präsident Strohschneider setzt darauf, dass sich die Brexit-Verhandlungen in die Länge ziehen: „Wir gehen daher momentan davon aus, dass Großbritannien sich bis zum Ende von Horizon 2020 an diesem EU-Forschungsrahmenprogramm beteiligen kann.“ Trotzdem scheint der Austritt Großbritanniens aus der EU unumkehrbar, weswegen viele Wissenschaftler ihre Hoffnungen auf ein Assoziierungsabkommen setzen. Gegenwärtig hat Horizon derartige Abkommen mit mehreren Ländern, etwa Norwegen oder der Türkei. Diese Nicht-EU-Mitglieder haben die Möglichkeit, gegen eine finanzielle Beteiligung an dem EU-Forschungsprogramm teilzunehmen.
Das Beispiel Schweiz
Grundlage der Beteiligung an Horizon 2020 ist neben einem finanziellen Beitrag die Wahrung der Reisefreiheit. Es ist jedoch erklärtes Ziel der neuen britischen Regierung, den Zuzug von Ausländern zu begrenzen.
Wie sich derartige Einschränkungen auf die Forschungsverbünde auswirken können, zeigt das Beispiel Schweiz. Die Eidgenossen waren Horizon-2020-Partner, bis sie beschlossen, den Zuzug von Kroaten zu drosseln. In der Folge flog die Schweiz aus dem Programm. Bis Februar 2017 hat die Schweiz Zeit, ihre Beschlüsse rückgängig zu machen, sonst verliert das Land endgültig seinen Assozierungsstatus.
Wie der in seinem Amt bestätigte britische Wissenschaftsminister Jo Johnson seine neue Aufgabe angehen will, ist noch unklar. Nach seiner Bestätigung im Amt twitterte er nur: „Vor uns wichtige Arbeit: Führerschaft des Vereinigten Königreichs in Forschung und Innovation sichern.“ Johnson ist der Bruder von Boris Johnson, dem Kopf der Brexit-Kampagne und neuem Außenminister. Im Gegensatz zu seinem Bruder war Jo Johnson erklärter Gegner des Brexit.
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