Pride Week in Berlin heißt: Literaturcolloquium am Wannsee und schmerzhafte Kniffe in die Brustwarzen
: Ganz viele Empfindlichkeiten

Foto: Wolfgang Borrs

Herbstzeitlos

von Martin Reichert

Die „Pride Week“ in Berlin hat noch gar nicht richtig angefangen, und ich bin schon völlig überschwult. Aber was heißt hier überhaupt Woche? WOCHEN werden dieses Jahr in Berlin ausgerufen: Es gibt die „Respect Games“, die „Gay Night at the Zoo“ und den „Christopher Street Day auf der Spree“ – mehr Veranstaltungen rund um geschlechtliche Orientierung bekommen sonst nur Heteros auf die Beine gestellt („Oktoberfest“, „Weihnachten“, „Fußball EM“).

Auch mein Lebensgefährte, der aus einem Land stammt, in dem es nur einen einzigen LGBTIQ*-Club gibt, ist schon erschöpft, bevor es losgeht – das Herumstehen am Abend des alternativen Kreuzberger X*CSD im letzten Monat hätte für ihn völlig ausgereicht. Stattdessen schleppte ich ihn am Wochenende zum Berliner Wannsee, wo das ehrwürdige Literarische Colloquium eine ganze Tagung zum Thema organisiert hatte: „Empfindlichkeiten – Homosexualitäten und Literatur“. Der Frage nachgehend: Gibt es so etwas wie einen Stil der Homosexuellen? Gibt es homosexuelle Romanciers im Gegensatz zu Schriftstellern mit homosexuellen Neigungen?

Irgendwann an diesem sonnigen Nachmittag in der Villa am Wannsee fiel inmitten der notorischen Dekonstruktion des Körpers als Ausdruck von Machtdiskursen der Satz „In the End we all want a juicy red Cock“, zumindest behauptet mein Lebensgefährte, ihn vernommen zu haben. Ein Übersetzungsfehler? Jedenfalls eine gute Überleitung zum nächsten Identitätstermin: dem schwullesbischen Stadtfest.

Nach einem kurzen Zwischenstopp bei „Guerilla-Architekten“ mit ungeklärten sexuellen Neigungen am Berliner Landwehrkanal – jungschen Urbanistikstudent*innen, die an neuen Nutzungsformen des öffentlichen Raums tüfteln – landeten wir im traditionellen Epizentrum der Berliner Szene: Schöneberg. Wer an die Deformation des „Körpers“ durch Machtdiskurse glaubt, wird hier gewiss auf seine Kosten kommen. „Juicy Cocks“ gibt es obendrein. Es ist das pralle Leben, und es riecht nach verbranntem Nackensteak und schalem Bier, nach zu viel Parfüm und Schweiß auf Leder.

„Na, Kosovo-Maus“, wird mein slowenischer Lebensgefährte begrüßt, während ich schmerzhaft in die rechte Brustwarze gekniffen werde, und um die Ecke biegt schon „die Fatma“, im richtigen Leben Fatih – wenn ich meinen besten Freund aus Berlin-Mitte nach Kreuzberg mitnehme, sollte ich ihm besser eine orange Weste mit der Aufschrift „Triggerwarnung“ umhängen.

Die gute alte Technik der Wald-und-Wiesen-Tunten gibt es eben auch noch, Mehrfachdiskriminierung hin, Critical Whiteness und Postkolonialismus her. Der spielerisch agressiv-ironische Umgang mit Kränkungen und Verletzungen, der auf Streetwise-Art begriffen hat, dass Humor die beste Waffe ist und Angriff die beste Verteidigung. Jeder bekommt sein Fett weg und jeder einen Tritt in die Eier, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft und sexueller Orientierung.

Gibt es nun eigentlich einen Stil der Homosexuellen? Die Pride Weeks gehen weiter, vielleicht finde ich’s noch heraus.

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