In der netten Bar auf der anderen Straßenseite
: Nicht endende Psychedelik

Ausgehn und Rumstehn

von

René Hamann

Gewalt“, das stand auf ihrem T-Shirt. GEWALT. Auf Deutsch, in Großbuchstaben. Das war schon irgendwie mutig, gerade in dieser Situation, an diesem Donnerstagabend, obwohl man von den Geschehnissen in Nizza noch gar nichts wusste, jedenfalls nicht hier im Lido in Berlin-Kreuzberg. „Gewalt“, schwarz auf weiß. Das hatte was. Gerade in dieser Situation, automatisch kam der Gedanke an die Ausein­andersetzungen in der Rigaer Straße.

GEWALT, das war irgendwie Punk, gerade auch, weil die Musik kein Punk war, obwohl ausgerechnet vor mir so ein Punk zu der brachialen Hypnotik so auf der Stelle tanzte, mit Faust gestreckt nach oben oder nach vorn, wie es Punks eben tun. Irgendein Band-T-Shirt hatte er auch an, wo aber leider nicht SONNE oder so was drauf stand, und ein Cap hatte er auf, schwarz natürlich, und einen Rucksack auf dem Rücken in einem Laden voller Menschen.

Die Musik, die uns von vorne bedröhnte, war eher so psychedelische Rockmusik. Die Gitarrenriffs waren Grunge, die Synthietöne, die die Frau mit dem GEWALT-T-Shirt spielte, waren schön monoton und flirrend, zusammen klang das irgendwie nach MC5 oder Suicide, gespielt mit elektronischen Geräten.

Die Frau mit dem T-Shirt heißt Sanae Yamada und kommt aus Kalifornien, und Gewalt ist eine Band mit deutschen Texten, hinter der Patrick „Größer Als Gott“ Wagner steckt, der große alte Zampano des Berliner Indierock, so um das Millennium herum. Die Älteren erinnern sich: Surrogat, Kitty-Yo, Louisville Records, dieses Dings mit diesem Jungschauspieler, den ich immer mit Robert Stadlober verwechsle. Oder so. Jetzt hat Wagner eine neue Band mit zwei Frauen zusammen, Helen Henfling und Yelka Wehmeier, so heißen die.

SONNE, MOND und STERNE. Ich war aber nicht auf einem Konzert von Gewalt, sondern auf einem von Moon Duo. Moon Duo als Trio im Lido. Ein Paar plus ein Schlagzeuger. Moon Duo haben vier oder fünf Songs, die sie in Variationen auf jetzt drei Alben verteilt haben und von denen zwei bis drei richtig gut sind, der Rest geht so. So war es auch am Donnerstagabend. Vor dem Moon Duo spielte Sonic Boom aka Spectrum, alias einer von den dreien von Spacemen 3. Peter Kember, so sein bürgerlicher Name.

Am Donnerstag macht er die Vorband zum Moon Duo, die laut Lido-Webseite „den Abend headlined“, und er hatte auch noch einen Gitarristen dabei. Witzig, dass er aus der Ferne immer noch so aussieht wie immer und dass ich Spectrum vor 20 Jahren immer mal wieder verpasst hatte, als sie in Köln spielten, bestimmt zwei- oder dreimal.

Auch witzig, dass sie immer noch gleich klingen: irre langsam und sehr spacig. Haben Moon Duo wie gesagt vier bis fünf Songs, haben Spectrum ungefähr drei, und die ziehen sich in die Länge wie Kaugummi mit hohem THC-Wert, und witzig ist auch, dass Peter Kember in den letzten 20, nein 30 Jahren wohl auch gar keine Lust gehabt hat, mal etwas anderes zu machen. Es muss anscheinend so klingen.

Wir haben also 2016, ich sehe Spectrum zum ersten Mal, und die Jahreszahl ist dabei völlig egal. Sie klingen einfach wie 1989 oder wie 1995 und schon damals alles andere als nach Zeitgeist.

Wir waren anschließend noch im Mysliwska, der netten Bar auf der anderen Straßenseite. Kahlköpfige Herren legten elek­tronische Musik auf, die nicht weiter auffiel. Um uns herum saßen junge Frauen mit neongrün leuchtenden Haarreifen (Plural von Haarreif) auf den Köpfen. Die Psychedelik wollte nicht aufhören. Die Freunde redeten davon, sehr lange schon auf keinem Rockkonzert mehr gewesen zu sein, ich hingegen konnte mich nicht mehr erinnern, was das letzte von mir besuchte Konzert gewesen war, das nicht irgendwie auch unter „Rock“ fiel. De La Soul? Die Chormusik an der TU neulich? Dann redeten wir über etwas völlig anderes, frei von Politik, über Ausflüge und über das Lieberhierbleiben, bis wir endlich gingen.