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Spanien wählt, Berlin bestimmtDie EU in der Zentrifuge

Zu Hause bei FremdenVonMiguelSZYmanski

Nacho Machado, ein Freund aus Madrid, hatte mich schon vor dem Wahlsonntag am 26. Juni in Spanien gewarnt. Wir saßen im Kaffeehaus, die zwei einflussreichsten spanischen Tageszeitungen, El Mundo und El País, lagen noch unberührt vor uns auf dem Tisch. „Wenn die Wahlen oft genug wiederholt werden, stellen die Konservativen irgendwann wieder die Regierung.“ Seit dem letzten Wahlgang im Dezember konnte keine Regierungslösung gefunden werden. Nacho klopfte mit der Fingerspitze auf die Zeitungen: „Die ist konservativ. Und die gehört einer Verlagsgruppe, die den Banken Milliarden Euro schuldet.“

Mit der Fußball-EM und dem alles überragenden Tod Götz Georges (drei erste Titelplätze bei Spiegel Online am Morgen nach dem Wahlsonntag) gingen die Wahlen in Spanien ziemlich unter. Es ist ja meistens auch nicht so wichtig, was in Europa passiert, wenn es keinen direkten Bezug zu Deutschland hat. Interessanter ist es, den eigenen Bauchnabel zu bewundern.

Das neue Wahlergebnis gibt Nacho recht: Die Konservativen sind nicht nur wieder die meistgewählte Partei, sie legen sogar noch um 15 Abgeordnete zu. Trotzdem kommen sie nur auf ein Drittel der Stimmen. Und eine Regierungsbildung bleibt schwierig, denn die spanischen Sozialisten wollen weiter nicht Juniorpartner einer Großen Koalition sein. In Europa hat inzwischen der letzte Hinterbänkler der Mitte-links-Parteien verstanden, dass es an die Substanz geht, den Gabriel zu machen.

Der konservative Regierungschef Rajoy versucht daher diese Woche mit der Coalición Canaria, den Basken der PNV und den liberalen Ciudadanos eine Regierungsmehrheit zu schmieden. Schafft er es nicht, könnte es bald wieder Wahlen geben.

Die große Überraschung in Spanien ist und bleibt die von Pablo Iglesias vor zwei Jahren gegründete Plattform Podemos. Obwohl die spanischen Medien versuchen, Podemos klein zu berichten, errang die Bewegung diesmal zwei Abgeordnete mehr als vor sechs Monaten und kommt nun auf 21 Prozent der Stimmen. Doch der Tenor der Spanienberichterstattung ist: Podemos hat das Ziel verfehlt, zweite politische Kraft zu werden. Die eigentliche Botschaft aber ist: Podemos etabliert sich.

Auch in Portugal hat sich die Mitte-links-Partei, die PS, zuletzt einen Linksruck gegeben und eine Minderheitsregierung mit Unterstützung der Kommunisten und des Bloco de Esquerda (Linksblock) formiert. Seitdem versucht die portugiesische Regierung gegen Berlins Auflagendiktat eine etwas sozialere Politik zu machen, was ständig auf Widerstände stößt und regelmäßig Drohungen der Bundesregierung zur Folge hat.

Wer verstehen will, warum jeder fünfte Spanier eine neue, radikallinke Partei wählt, warum in Portugal die Regierung gegen Deutschland Stellung bezieht, warum so viele Menschen mit dem Konstrukt der EU unzufrieden sind und die zentrifugalen Kräfte immer stärker werden, muss ausländische Zeitungen kaufen. Die deutschen Zeitungen erklären es nicht.

Auf Spaniens und Portugals Titelseiten stehen dieser Tage regelmäßig die „Drohungen Schäubles“, Spanien und Portugal wegen des Defizits mit Sanktionen „zu bestrafen“. Die ehemalige konservative Finanzministerin Portugals, Maria Albuquerque, bringt es auf den Punkt: „Wäre die rechte Regierung an der Macht geblieben, gäbe es keine Strafmaßnahmen aus Berlin.“ Die Konservativen hatten die Berlin-Auflagen noch punktgenau umgesetzt.

In Brüssel sind nur Bürokraten, bestimmt wird in Berlin. Das Bild des drohenden Bundesfinanzministers prägt das Deutschland- und EU-Bild in Südeuropa. Das ist die EU, die Nacho, ich und die meisten Europäer nicht wollen.

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