Berliner Szenen
: Warschauer Straße

Nie neben der Spur

Der junge Mann nahm sein Brett und ging zu Fuß weiter

Seit Monaten ist die Warschauer Straße in Friedrichshain eine Baustelle. Aber bald wird es auf der 1,6 Kilometer langen Strecke eine richtig breite, durchgehende Spur für Fahrradfahrer geben, samt Pollern und Bügeln. Ampeln, Straßenbeleuchtungen und unterirdische Leitungen werden auch gleich modernisiert. Neulich las ich, dass der neue Straßenbelag geräuscharm sein soll. Die Modernisierung kostet 2,3 Millionen Euro.

Vor Kurzem setzte ich mich nach der Arbeit auf eine der Bänke auf dem Mittelstreifen. Auf dem Rasen lagen jede Menge Pappbecher- und -teller von den zahlreichen Imbissen entlang der Straße, ein brauner Weihnachtsbaum fristete, umgeben von leeren Bierflaschen, ein trauriges Dasein. „Weil man sich in Berlin auf ein Bier trifft und dann zehn trinkt“, lautete ein Werbespruch an einer Hauswand. Quietschend fuhr eine Straßenbahn mit einer Werbebanderole vorbei: „Garantiert nie neben der Spur“.

Neben mir auf der Bank lag eine kleine Papiertüte, die ziemlich neu aussah. Von außen war nicht zu erkennen, ob sie leer war oder womöglich das Geschäft eines Hundes enthielt. Vorsichtig schaute ich hinein und sah eine eingeschweißte harmlose Wimpernzange. Weil ich dafür keine Verwendung hatte, ließ ich sie liegen.

„He, Idiot!“, schrie eine Radfahrerin, die auf einem bereits fertiggestellten Teil der breiten Superduperfahrradspur fuhr und fast von einem Skateboardfahrer zu Fall gebracht wurde. Nachdem sich das Gleiche wenige Sekunden später wiederholte, nahm der junge Mann sein Brett in die Hand und ging zu Fuß auf dem Gehweg weiter. Dann fiel mein Blick auf den großen Feldstein neben der Bank. Darauf war eine Metallplakette befestigt. „Vermessungspunkt. Mittelpunkt Friedrichshain.“ Ich hielt inne und fühlte mich ganz bei mir und zentriert.

Barbara Bollwahn