Endlich wieder frei

THEATER Eine Spielzeit lang hat das freie Künstlerduo „Die Azubis“ im Rahmen seines Projekts „Freizeichen“ spontane Aktionen im öffentlichen Raum entwickelt. Zum Abschluss sind die alle noch einmal zu erleben

Eigentümliche Mischung aus Dokumentation, Poesie und Trash: Kai Fischer (l.) und Christopher Weiß im Stück „Nightbreezers“ Foto: Jens Beckmann

von Robert Matthies

Ein Diplom haben sie beide. Aber ihre Ausbildung als Künstler haben der Schauspieler Christopher Weiß und der Kulturwissenschaftler Kai Fischer bis heute ausdrücklich nicht abgeschlossen. „Die Azubis“ nennt sich das freie Duo deshalb, das seit 2010 gemeinsam Theaterprojekte nicht: auf die Bühne bringt, sondern: auf die Beine stellt.

Denn aus dem klassischen Theaterraum mit seiner klaren Trennung von Guckkastenbühne und Publikum sind Weiß und Fischer schon lange ausgebrochen. „Nach dem Studium haben wir beide an Stadt- und Staatstheatern gearbeitet“, erzählt Fischer. „Aber wir haben schnell entschieden: Das ist nicht unsere Welt.“

An Tom Strombergs „Was ihr wollt“-Akademie in Brandenburg haben sie sich dann kennengelernt. Mit einem Stipendium konnte man dort ein Jahr lang tatsächlich erst mal ausprobieren, was man überhaupt will. „Wenn ich keine Kontakte habe und kaum Geld verdiene mit meinem Job“, sagt Fischer, „dann ist die Frage eben: Warum mache ich das überhaupt? Was will ich mit meiner Kunst?“

Genau das ist bis heute der zentrale Antrieb der beiden „Azubis“: Die immer neu begonnene Suche nach Formen, die sich an inhaltliche Fragen anschließen lassen; ein ausdrücklich naiver Blick auf den Alltag, verbunden mit ehrlichem Interesse, um einem Themenfeld „mit liebevoller Wertschätzung“ begegnen zu können, ohne in gängige Denkstrukturen zu verfallen.

Heraus kommt eine eigentümliche Form von „Crossmediatheater“: eine bewusst offene Verbindung von Sprech-, Objekt- und Schattentheater, verknüpft mit Gesang, Videoclips, interaktiven Szenerien und Elementen von orts- oder situationsbezogener Kunst und Urban Art.

„City Swap“ hieß etwa der Theaterparcours, mit dem das Duo 2012 den Jurypreis des Freie-Szene-Festivals „150% made in Hamburg“ gewonnen hat. In kleinen Gruppen lief man damals mit Kopfhörern auf den Ohren durch St. Pauli und die Hafencity, besuchte deren Bewohner in Privatwohnungen und erfuhr in einer charmanten Mischung aus Dokumentation, Trash und Poesie aus erster Hand von deren Verhältnis zum Stadtteil – und en passant vom plötzlich gar nicht mehr so diametral entgegengesetzten Verhältnis von dreckig-romantischem Kiez und sauber-snobbigem Stadtplanerstadtteil.

Die unaufdringliche Verknüpfung von Formvielfalt und aktuellen Themen ist zum Markenzeichen des Duos geworden. Gerade erst wurden Fischer und Weiß für ihr erstes Klassenzimmerstück „Vom Schatten und vom Licht“ rund um das Thema Tod mit dem dritten Platz des Hamburger Kindertheaterpreises und dem Kinder- und Jugendjurypreis beim Festival „Hart am Wind“ ausgezeichnet.

Ausruhen wollen sich „Die Azubis“ auf ihren Lorbeeren aber nicht. „Wir beantragen freie Zeit, um ohne verkopftes Konzipieren, ohne falsche Zurückhaltung agieren zu können“, begannen Fischer und Weiß ihren Antrag an die Kulturbehörde zur Förderung des auf ein Jahr angelegten Projektes „Freizeichen“: „Wieder mehr Freiheit, Frechheit, Wildheit!“

Die unaufdringliche Verknüpfung von Formvielfalt und aktuellen Themen ist ihr Markenzeichen

Sechs theatrale Aktionen sind dabei entstanden: In skurrilen Schutzanzügen sind Weiß und Fischer durch U-Bahnen und Einkaufszentren gezogen. Eine Schulkasse mit Flüchtlingskindern ließen sie gemeinsam mit 5. und 6. Klassen der Klosterschule aus Legosteinen bauen, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen. Auf Weihnachtsmärkten gab’s ein Krippenspiel als Guerilla-Lichtprojektion zu sehen und einen Superhelden ließen „Die Azubis“ ebenfalls als Lichtprojektion auf die Bild-Zeitung kacken.

Aber auch zwei ungewöhnliche Theaterminiaturen haben Fischer und Weiß entwickelt: In „Der Warteführer“ singt und sinniert der im Rollstuhl sitzende Schauspieler Lars Pietzko vom Theater Klabauter in der U-Bahn übers Warten. Dass er einen vorher geschriebenen Monolog spricht – ob es die Passagiere überhaupt merken?

„Das Puppenheim“ wiederum verlegt Ibsens Stück als unsichtbares Theater in ein großes Hamburger Möbelhaus – nur drei Zuschauer laufen mit und wissen Bescheid: Intimer kann Theater nicht sein.

Auf ein bisschen mehr Sichtbarkeit wollen „Die Azubis“ dann aber doch nicht verzichten. Dieses Wochenende sind deshalb zum Abschluss des Projektes noch einmal alle Miniaturen zu sehen.

„Freizeichen“-Festival: Sa, 16. Juli: „Das Puppenheim“, 10 Uhr, Treffpunkt: Große Bergstraße 164; „Vom Schatten und vom Licht“, 16 Uhr, Wartenau 16; Abschluss, 23 Uhr, Lippmannstraße 11