FUSSBALL MIT KINDERN MACHT MEHR ALS SCHADENFREUDE
: Nemo für Portugal

Allons Enfants

von Lukas Wallraff

Ist Schadenfreude wirklich die schönste Freude? Bilden wir Alten uns das nur ein, weil wir aus Lebensfrust nach Rache dürsten? Oder ist die Lust am Misserfolg von Missetätern angeboren?

Kleiner Schadenfreude-Test mit Kindern. Ich bemühe mich, den Brexit so neutral wie möglich zu erklären. „Die meisten Länder in Europa sind zusammen in einem Verein, weil man zusammen stärker ist“, beginne ich mit all meiner verbliebenen Restbegeisterung für die EU zu schwärmen und komme dann mit mühsam gedämpfter Wut zum Brexit: „Jetzt sind die Engländer ausgetreten, weil sie, tja, äh, weil sie nicht mehr wollen.“

Rückfrage Tochter (6): „Aber warum wollen sie denn nicht mehr?“ Darauf kann ich nur sachlich korrekt antworten: „Weil sie zu geizig sind und den ärmeren Ländern nichts abgeben wollen.“ Tja. Neutral geht nicht. Nicht beim Brexit, nicht bei der EM. Also sagt natürlich auch die Tochter nach der Niederlage Englands gegen Island: „Das haben sie nun davon!“

Nur die allgemeine Heroisierung der Isländer sieht sie berechtigterweise skeptisch: „Machen die denn mit bei der EU?“ Ich verneine, will aber die Schadenfreude über das Aus der Briten jetzt nicht weiter trüben. Also erspare ich ihr weitere Vorträge über isländische Walfänger, Finanzhaie und Rassisten. Gibt schließlich Wichtigeres.

Unsere Achtelfinal-Bilanz:

Neue Lieblingsmannschaft: Kaum hatten wir uns mit Kroatien angefreundet, waren die Karierten auch schon weg. Wer nun? Muss man Politik bedenken? Dem Sohn (5) geht der Brexit noch komplett an der Turnhose vorbei. Er entscheidet: „Ich würde gern für Wales spielen, dann hätte ich einen Drachen auf dem Trikot.“ Das allerdings kollidiert mit meiner Vorliebe für Belgien. Mein Favorit ist Lukaku. Weil er so ähnlich heißt wie ich und weil ich ihn schon einmal live gesehen habe. Aber vor allem ist er:

Die letzte Hoffnung: Lukaku könnte noch Torschützenkönig werden – und das könnte man als Erfolg für den Club durchgehen lassen. Schließlich war Lukaku mal bei Anderlecht, dem künftigen Verein des bisherigen Club-Trainers.

Die größten Stars: Beim taz-Tippspiel lag ich ohne Kinderhilfe auf Platz 47 von 53. Seit sie für mich tippen, geht es aufwärts. Sie haben einfach ein besseres und sicheres Gefühl. Als ich bei Portugal gegen Polen für Polen bin, stöhnt der Sohn: „Papaaa … bei Portugal spielen doch Gute: Ronaldo, Pepe, Nemo …“

Die klügste Haltung: Ob ein Fisch oder Nani getroffen hat, war bei Redaktionsschluss noch nicht klar. Es ist aber auch egal. Auch wer Europameister wird. Mein Sohn will sich darauf nicht festlegen und sagt fröhlich: „Ich bin für den Ball.“