Lyrik an den Wänden

POESIE Das Studienzentrum für Künstlerpublikationen in der Weserburg zeigt Arbeiten des Dichters Ian Hamilton Finlay

Bei Finlay wird der Übergang vom Gedicht zum Bild fließend Foto: Zentrum für Künstlerpublikationen

von Radek Krolczyk

Was macht ein Gedicht in einem Kunstmuseum? Es sieht aus. Möglicherweise handelt es sich dabei sogar um eine Bedingung: Um ins Museum zu kommen, muss ein Gedicht aussehen. Das heißt – eigentlich sehen Gedichte meistens irgendwie aus. Sie sind gesetzt, gedruckt und in einer bestimmten Form publiziert. Für die Kunst wird ein Gedicht vielleicht erst dann wirklich interessant, wenn die Form seines Satzes, seines Druckes oder der Publikation auf experimentelle Weise entsteht und selbst darin zum Thema wird.

Konkrete und experimentelle Poesie, Kleinauflagen und Bücher der Künstler sind seit je Schwerpunkt des Studienzentrums für Künstlerpublikationen in der Weserburg. Aktuell zeigt es in einer kleinen sehr schönen Kabinettausstellung Arbeiten des Dichters und Büchermachers Ian Hamilton Finlay. Der 1925 auf den Bahamas geborene Finlay wurde in Großbritannien zu Beginn der 60er-Jahre mit seinen Gedichtbänden „The Sea Bed and Other Stories“ und „The Dancers Inherit the Party“ bekannt. Die BBC machte damals einige seiner Gedichte einem breiten Publikum zugänglich. Das war zu einer Zeit, als das Radio noch eine Art Leitmedium war.

Vor diesen ersten Veröffentlichungen arbeitete Finlay allerdings als Schäfer. Das hört sich sachfremd an, Schafe hüten und Gedichte schreiben, ist es aber nicht – dazu später mehr. Seine frühen Poems waren abstrakt, was bedeutet, dass ihr Sinngehalt nicht wörtlich zu nehmen war. Nicht etwa, weil man bei Gedichten eh mit Bildern und Metaphern operiert, sondern weil die konkrete Poesie oftmals keine wirklichen Worte mehr kennt. Ihre Vertreterinnen und Vertreter zerlegen sie in Fragmente, variieren diese oder geben sich gleich sinnlosen Lauten hin.

An dieser Stelle wird dann, zumindest bei Finlay, der Übergang vom Gedicht zum Bild fließend. In der Weserburg hängt dann etwa aus den frühen 60er-Jahren eines seiner berühmten Poster-Poems: Auf einem langen, schmalen, grünen Streifen Papier findet man unterein­ander geschichtet die Silben: „urn-urn-urn-urn-col-umn-col-umn-col-umn-col-umn“. Finlay hat aus Silben, mit denen man sprachlich eine Säule bezeichnet, bildlich eine Säule gebaut.

Als Versuche findet man bewusst gestaltete Gedichte bereits im 19. Jahrhundert bei Stéphane Mallarmé und Christian Morgenstern. Von Morgenstern gibt es ein Gedicht mit dem Namen „See“, das nur aus Wellenlinien besteht. Systematisch allerdings widmen sich erst in den 50er- und 60er-Jahren Künstler wie Franz Mon, Gerhard Rühm oder eben Eugen Gomringer der konkreten Poesie. Sie alle erforschten auf spielerische Weise die Möglichkeiten der geschriebenen Sprache. So entstanden Experimente mit Schriftbildern oder der Anordnung einzelner Buchstaben und Worte.

Bei Künstlern, die mit Schrift und Bild arbeiten, liegt die Veröffentlichung von Plakaten, Zeitschriften oder Büchern nahe. So sind in der Bremer Ausstellung in Tischvitrinen allerlei kleine Büchlein des 2006 verstorbenen Textkünstlers zu sehen. Es erscheint programmatisch, dass ausgerechnet in den 60er-Jahren viele Künstlerinnnen und Künstler damit anfingen, sich verschiedene Veröffentlichungsformen anzueignen. Verbunden war damit bestimmt auch eine Idee der Demokratisierung der Mittel der Veröffentlichung. Ohne eine größere Organisation oder einen Verlag im Hintergrund war eine Publikation vor den frühen 60ern kaum denkbar. So organisierten Künstlerinnen und Künstler wie Finlay ihre Veröffentlichungen selbst. Solche Kleinauflagen und publizierten Kunstwerke sammelt das Studienzentrum bereits seit den 90er-Jahren. Inzwischen gehört die Bremer Sammlung zu den wichtigsten ihrer Art.

Die große Auswahl an ausgestellten Büchern, Postkarten und Plakaten veröffentlichte Finlay dann auch in seinem eigenen kleinen Verlag – Wild Horthon Press. Mehr als 1.000 solcher Veröffentlichungen realisierte er darin in seiner mehr als vierzigjährigen Herausgeberschaft. Von 1962 bis 1967 gab Finlay darüber hinaus die Zeitschrift Poor Old Tired Horse heraus.

„urn-urn-urn-urn-col-umn-col-umn-col-umn-col-umn“

In den ersten, der insgesamt 25 Nummern finden sich noch Texte von Pablo Neruada, Paul Celan und Günter Grass. Später dann nahmen auch in seiner Zeitschrift die Beiträge visueller Poesie stark zu. Verlag und Zeitschrift dienten nicht nur der Veröffentlichung des eigenen riesigen Outouts, sondern halfen auch der Vernetzung mit anderen Künstlerinnen und Künstlern. So ist in der Ausstellung etwa ein Plakat zu sehen, das Finlay mit einem deutschen Vertreter der konkreten Poesie, Franz Mon, in seinem Verlag realisiert hat. Von 1964 stammt Mons leichte, mehrfarbige Druck, auf dem aus den Buchstaben n, o und t eine Art Schmetterling zusammengesetzt wurde. In der Gestalt dieses Schmetterlings kombinieren sich die Buchstaben zu allerlei möglichen negativen Wortgebilden: non, not, not, tot.

An dieser Stelle kann man vielleicht zurück auf die Schafe kommen. Finlay begann in den späten 70er-Jahren sich vermehrt mit Landschaften zu beschäftigen. Von 1986 etwa stammt eine Mappe mit Landschaftslithografien, die er zusammen mit Gary Hincks entwarf. Der Titel: „Sechs Verbesserungsvorschläge für die Baumschule des Stockwood-Parks in Luton“. Sie verwendeten hierfür Drucke aus dem späten 17. Jahrhundert und ergänzten die darauf abgebildeten hügeligen Waldlandschaften um Statuen und Schilder.

Finlay betrieb den Verlag seit 1966 von seinem ländlichen Wohnort aus, dem schottischen Pentland, nahe Edinburgh, wo er mit seiner Familie lebte. Entsprechend seines Arbeitsraums als Hirte schrieb er Gedichte oder einzelne Worte auf Steine, die er in die schottische Landschaft legte.

Um sein Anwesen herum gründete er als gärtnerisches Kunstprojekt „Little Sparta“. Hierfür fertigte er dann auch Skulpturen an, etwa eine steinerne Vogeltränke in Gestalt eines Flugzeugträgers. Die Vögel, die hier landen, sehen aus wie Kriegsflugzeuge. In der Bremer Ausstellung sind Skulpturen nicht zu sehen. Dafür Darstellungen eines Panzers und von Kriegsbooten, die ebenso sehr nach Landschaft wie nach Kriegsmaschine aussehen. Der Übergang ist hier in etwa so fließend, wie in seinen anderen Arbeiten von Bild zu Gedicht.

Bis zum 28. August, Weserburg, Studienzentrum für Künstlerpublikationen

Der Autor ist Betreiber der Galerie K‘