„Camel, Camel“, riefen die US-amerikanischen Soldaten. Das sei in etwa so, als würde man in Deutschland „Da, Kühe!“ rufen, sagt Fotograf Christoph Bangert (unten) Fotos: Christoph Bangert; Rolf Vennenbernd/dpa

„Als Männer landen wir im Krieg“

Fotos Vor zwei Jahren zeigte der Fotograf Christoph Bangert im Buch „War Porn“ die Schrecken des Krieges mit ganzer Wucht und Wut. Nun widmet er mit sich mit „Hello Camel“ den skurrilen und bizarren Momenten von Konflikten – auch in einer Ausstellung

von Frank Keil

Christoph Bangert hat nichts weiter dagegen, wenn man ihn einen Kriegsfotografen nennt: „Wir Journalisten sollten uns nicht auf ein hohes Podest stellen, von wegen wir seien viel besser als die jungen Soldaten, die sich da totschießen“, sagt er. Ähnlich wie bei den Soldaten gebe es auch bei Journalisten und Fotoreportern in jungen Jahren den Drang, Abenteuer zu erleben, etwas zu erfahren, was ungewöhnlich und was bedeutend ist. „Und als Männer landen wir dann beim Krieg“, sagt er.

Dass er sich selbst dort wiederfand, habe sich ein bisschen so ergeben, sagt er. Er war Mitte zwanzig, studierte Fotografie an der Fachhochschule Dortmund, als sich im Rahmen eines Studentenaustausches die Gelegenheit ergab, nach Israel zu reisen. „Ich habe die drei Wochen bei einer israelischen Familie gewohnt, aber tagsüber war ich im Gaza-Streifen unterwegs und im Westjordanland.“

Er merkte, dass ihm das ständige Wechseln zwischen den beiden Welten nicht nur gefällt, sondern auch zu seinem Interesse an politischen Konflikten passt. Bei dem Austausch hatte er die Möglichkeit, beide Seiten zu betrachten, denn er konnte sich damals auf palästinensischer Seite relativ frei bewegen. Nach dem Studium ging er für zwei Monate nach Palästina. Danach folgte Afghanistan.

Seitdem ist er an vielen Orten gewesen, die viele andere Menschen nie betreten möchten: dem zersplitterten Libanon und der Region Dafur im Sudan etwa; im krisengeschüttelten Pakistan war er unterwegs und immer wieder im kriegszerstörten Irak. „Ich habe früh gemerkt, dass ich zwar Angst habe, aber dass mich die Angst nicht lähmt und ich meine Arbeit machen kann.“ Er will zeigen, was passiert und was passiert ist; dokumentieren, was geschieht, wenn die meisten Journalisten und Fotografen längst weitergereist sind.

Den Krieg also. Das große Schlachten und Sterben.

„Man darf sich das Arbeiten in Krisen- und Kriegsgebieten nicht so vorstellen, dass ständig geschossen wird und man ständig in Deckung gehen muss“, sagt er. Es gäbe im Gegenteil keine klaren Fronten, der Krieg verlaufe völlig chaotisch und absolut unkonventionell. Die größten Bedrohungen gingen weniger von eindeutigen Kampfhandlungen aus, sondern von Autobomben oder von Entführungen. „Und dabei finden schreckliche Dinge statt, unbeschreiblich schlimme Dinge, die in unserer Berichterstattung visuell nicht vorkommen.“

Genau diese Bilder versammelt sein Bildband „War porn“ aus dem Jahr 2014. Fotos sind zu sehen, die man nicht sehen möchte: schwer Verwundete, Sterbende, Tote, zu Tode gefolterte Menschen. Manche Menschen sind kaum noch als Menschen zu erkennen. Bangert will sie dennoch zeigen. Weil es sie gibt – und es sie nicht mehr gibt, wenn man sie nicht zeigt.

Aus gutem Grund kommt das Buch daher nicht in Gestalt eines klassischen Bildbandes daher, sondern ist vom Format nur wenig größer als DIN A6. „Man kann das Buch nur alleine für sich betrachten – ein ganz persönlicher, intimer Moment.“

Zugleich ist das Buch zum Teil so gebunden, dass sich manche Seiten nicht einfach aufblättern lassen, sondern man muss sie bewusst mit einer Schere oder einem Messer auftrennen, will man sie sich anschauen: „Ich möchte, dass sich die Menschen fragen: Will ich ein Bild anschauen? Oder will ich es nicht?“ Und folgerichtig gab es diese Bilder auch nicht in Form einer Ausstellung zu sehen, die man mal eben so im Vorbeigehen hätte betrachten können.

Ganz anders sein jetziges Buch „Hello Camel“, das vordergründig wie ein klassischer Fotobildband auftritt und das er zugleich in einem engen Kontext zu „War Porn“ sieht: „Beide Bücher gehören zusammen, beide geben sich jeweils ihre Legitimation.“ Und „Hello Camel“ gibt es nun auch als Ausstellung.

Dabei entdeckte er eher zufällig, dass neben Motiven und dann Bildern absoluter Grausamkeit genauso skurrile und absurde Momente von der Sinnlosigkeit des Krieges berichten. Er begann systematisch nach ihnen Ausschau zu halten: „Kriege machen keinen Sinn, sie können nur schiefgehen, das drückt sich auch visuell aus.“

Und so zeigt ein Foto fein säuberlich aufgereihte Toilettenhäuschen hinter einer Befestigungslinie irgendwo in den Tiefen Afghanistans – wie bei einem Open-Air-Festival. Die Besucher betrachten den Dorfpolizisten, der nach einem Schießtraining bei Kandahar in seiner Paradeuniform mit auf dem Rücken verschränkten Armen wie ein Landadeliger einherschreitet und seine Schießscheibe absucht – er hat kein einziges Mal getroffen. Auf einem anderen Bild baut sich eine Gruppe aus maskierten Hamas-Kämpfern auf, die stolz ihr Waffenarsenal vorzeigt: „Da ist ziemlich viel Show dabei, das hat was von ‚Wer hat die schönste Handgranate?‘, aber zugleich kann es genauso sein, dass sie dir die Kehle durchschneiden, wenn sie meinen, du bist ein Spion.“

Wir sehen amerikanische Soldaten, wie sie sich im Süden Afghanistans durch Felder mit mannshohen Hanfpflanzen schlagen, auf der Suche nach dem Feind: „Das fanden die jungen Soldaten super und sind stundenlang da durchgelaufen, haben tief eingeatmet dabei, was natürlich Quatsch ist – da passiert gar nichts.“

Und er zeigt ihre Kameraden, die bei Al-Ba’aj einige Kamele entdeckten: „Die sind mit ihren Humvees durch das Land gefahren und haben ständig ‚Camel, Camel‘ gerufen, was in etwa so ist, als würden irakische Soldaten durch Deutschland kurven und dabei ständig rufen: ‚Da, Kühe!‘.“

Und dann ist da das Pferd, das in einem heruntergekommenen Stall vor sich hin steht und sein Gegenüber zu betrachten scheint: „Es ist ein ehemaliges Pferd von Saddam Hussein, der eines der größten Pferdegestüte der Region besaß“, sagt Bangert. Nach seinem Sturz seien einige Pferde weggelaufen, andere seien verkauft, zum Teil wieder eingefangen oder einfach erschossen worden. „Nur dieses eine Pferd hat offenbar überlebt und es ist für mich persönlich ein Symbol für das, was dem Land angetan wurde. Das ganze Land wurde ja geplündert“, sagt der Fotograf und erzählt, dass sich manche seiner Kollegen eine Kalaschnikow besorgten, zur Eigensicherung, für 50 Euro das Stück. Waffen zu kaufen – im zerfallenden Irak kein Problem.

In den letzten zwei Jahren hat er es ruhiger angehen lassen und die Kriegsregionen der Erde gemieden. Er hat geheiratet, ist Vater zweier Kinder. Seine Frau Chiho Bangert gestaltet seine Bücher. Er, Jahrgang 1978, sieht aber weniger in seiner Familie den Grund für seinen Rückzug aus den Krisengebieten, als in seinem Alter.

Ganz lassen will er es trotzdem nicht. Das nächste Langzeitprojekt steht fest: eine fotografische Dokumentation über die Region Fukushima. Er war damals nur 20 Kilometer entfernt und fuhr auf die Stadt zu, als im Radio die Kernschmelze des ersten Reaktors gemeldet wurde. Er drehte erst mal um – um später immer wieder zurückzukehren.

Ausstellung „Hello Camel“: bis 25. August 2016, Freelens Galerie, Hamburg

Der Bildband „Hello Camel“ ist, wie auch „War Porn“, im Kehrer-Verlag erschienen.