Ihr jungen Leute!

. . . beruhigt euch. Ralf Sotscheck sagt mit der Gelassenheit von 62 Jahren: Der Brexit hat auch sein Gutes

Wer hätte das gedacht? Die Briten haben sich entgegen den letzten Umfragen doch getraut. Ich verstehe ja, dass ihr jungen Leute euch darüber ärgert, weil die EU euch Reisefreiheit beschert hat. Oftmals müsst ihr im Ausland nicht mal Geld wechseln. Das fand ich früher auch prima.

Aber die Kosten dafür sind zu hoch. Nehmen wir Irland als Beispiel: Die Iren müssen die Spekulationsverluste nicht nur ihrer eigenen, sondern auch der deutschen, französischen, britischen und US-Banken ausgleichen. Dafür hat ihnen die Troika, und dazu gehört auch die EU, sieben aufeinanderfolgende Sparhaushalte ­aufgezwungen. Die Folgen sind ein drastischer Anstieg der Obdachlosigkeit und eine Verarmung weiter Teile der unteren Mittelschicht. Für diese Menschen spielt Reisefreiheit nicht unbedingt die erste Geige. Deshalb finde ich es gut, dass diese Art von EU jetzt anfängt zu bröckeln.

Natürlich ist meine Freude darüber nicht grenzenlos, denn die überwiegende Mehrheit vor allem der älteren Generation ist den Rechtspopulisten auf den Leim gegangen. Das sind die Menschen, die sich nie damit abgefunden haben, dass das britische Weltreich nur noch in den Geschichtsbüchern vorkommt. Sie haben nicht bedacht, dass dieses ehemalige Weltreich nun noch kleiner wird, weil Schottland und irgendwann auch Nordirland abtrünnig werden.

Aber die positiven Folgen aus dem Brexit-Votum reichen weiter. In den anderen Ländern der Europäischen Union muss man sich nun ernsthaft mit Reformen dieses EU-Eliteclubs auseinandersetzen und kann nicht einfach weitermachen wie bisher. Selbstverständlich besteht die Gefahr, dass die Rechtspopulisten in vielen EU-Ländern nun den Reaktionären der United Kingdom Independence Party (Ukip) nacheifern wollen.

Aber es ist auch eine Chance für die Linke, die es ja noch gibt, auch wenn sie meist auf dem Rückzug ist. Jetzt seid Ihr gefordert, die junge Generation. Es gilt, sich zusammenzuschließen und eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, um eine Alternative zur EU anzubieten, die nicht dem Kapital, sondern den Bürgern verpflichtet ist. Damit könnt Ihr Ukip und Konsorten letztendlich eine ganz schön böse Überraschung bereiten.

Ralf Sotscheck,62, ist taz-Korrespondent für Großbritan­nien und Irland. Vor langer Zeit war auch er einmal jung und wütend. Dann zog er nach 22 Semestern Studium in Berlin nach Dublin und schrieb unzählige Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. Seitdem ist er milder