„Das folgt aus neoliberaler Politik“

Jürgen Trittin

Foto: Laurence Chaperon

61, sitzt im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Er war Umweltminister unter Gerhard Schröder. Von 2009 bis 2013 war er Fraktionschef der Grünen.

taz.am wochenende: Herr Trittin, Großbritannien verlässt die EU. Macht Ihnen das Angst?

Jürgen Trittin: Der Ausgang des Referendums erfüllt mich mit Sorge. Der Sieg der Brexit-Befürworter stürzt die Europäische Union in eine tiefe Krise. Er wirft die Frage auf, ob es dieses Europa langfristig geben wird oder ob wir zurückfallen in den Nationalismus der Nationen.

Die Fliehkräfte im gestressten Europa werden zunehmen. Droht die EU auseinanderzubrechen?

Ich halte es für denkbar, dass es in anderen Ländern Versuche geben wird, dem britischen Vorbild zu folgen. Für Rechtspopulisten wie Geert Wilders oder Marine Le Pen ist das Wasser auf ihre Mühlen. Sie haben angekündigt, ebenfalls Volksabstimmungen über einen EU-Austritt anzustreben.

Warum haben sich die Briten gegen Europa entschieden?

Ich glaube, dass wir es im Kern mit den Folgen neoliberaler Politik zu tun haben. Sehen Sie sich die Wahlanalysen an: Gegen die EU haben vor allem ältere Menschen gestimmt, Geringqualifizierte und Einkommensschwache. Diese Leute sehen in der EU eine Bedrohung, und sie versprechen sich Schutz vom Nationalstaat. Solche Ängste zeigten sich auch bei der Präsidentenwahl in Österreich, wo die FPÖ stark abschnitt.

Der Neoliberalismus ist schuld? Viele Brexit-Fans haben doch eher Angst vor zu viel Zuwanderung.

Diese vorgebliche Angst vor Fremden ist nur ein Symptom. Dahinter stecken ein tiefes Unbehagen nach der Finanzkrise und die Angst, eigene Vorteile zu verlieren. Das sucht sich Ventile, im Moment sind es eben die Migranten.

Es braucht eine andere Politik?

Ich sehe es so. In den vergangenen Jahren haben Konservative die europäische Agenda bestimmt. Eine konservative Mehrheit in der Kommission, im Rat und im Parlament hat auf freie Märkte und Deregulierung gesetzt. Doch wer durch harte Austeritätspolitik Ungleichheit verstärkt, macht die Rechten stark.

INTERVIEWUlrich Schulte