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Jetzt helfen bald nur noch Wunder

Die pakistanische Regierung lässt nun doch noch weiter nach Überlebenden des Erdbebens suchen, auch wenn deren Chancen schnell schwinden. Unbehandelte Verletzungen und einsetzender Schneefall bedrohen jetzt auch Verwundete und Obdachlose

AUS DELHI BERNARD IMHASLY

Ein 18 Monate altes Mädchen ist gestern am siebten Tag nach dem Erdbeben in den Ruinen eines zerstörten Hauses im pakistanischen Teil von Kaschmir noch lebend geborgen worden. Wie das pakistanische GeoTV berichtete, war das Baby bewusstlos, aber sonst gesund. Zwei Brüder und die Mutter konnten nur noch tot geborgen werden.

Auch wenn die Überlebenschancen immer mehr gegen null sinken, zeigt das Beispiel, dass unter den Trümmern noch Menschen leben. Die Ankündigung eines Militärsprechers in Muzaffarabad, dass die Regierung die Suche nach Überlebenden eingestellt habe, war daher für viele Pakistaner ein Schock. Nicht zuletzt dank solcher Wunder wie dem Überleben des Mädchens wurde gestern die Einstellung der Suche vom Sprecher des Präsidenten dementiert.

Die Rettungsteams sind nicht nur bei der Suche nach Überlebenden in einem Rennen gegen die Zeit. Auch bei der Versorgung der auf 63.000 geschätzten pakistanischen Verwundeten geht es darum, möglichst viele zu retten, bevor Wundbrand oder die Kombination von Blutverlust und Kälte den Tod bringt. Nur ein Bruchteil kann ausgeflogen werden. Muzaffarabads erste Feldlazarette waren voll, kaum waren sie erstellt. Noch größer ist die Herausforderung, 2,5 Millionen Obdachlose vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren.

Gestern morgen fiel begleitet von neuen Nachbeben der Stärke 5,3 Schnee bis tief in die Hügelzonen von Azad Kashmir. Er droht die Öffnung der Bergstraßen ins Hinterland von Muzaffarabad und Balakot weiter zu behindern. Noch schwieriger ist der Zugang zu den vielen Dörfern entlang den Talhängen in dieser dichtbesiedelten Region. Sie sind nur zu Fuß zu erreichen und haben bis heute keine Hilfe gesehen.

Den gestrigen Gebetstag der Muslime wollten die Oppositionsparteien ursprünglich zu einem Tag des Protests gegen die Regierung machen. Sie werfen ihr vor, das Ausmaß der Katastrophe völlig unterschätzt und daher zu spät auf das Beben reagiert zu haben. Ihre Kritik richtet sich auch gegen die Versäumnisse bei der Vorbeugung gegen ein solches Naturereignis. Im letzten Augenblick erklärten die Oppositionsparteien aber gestern zum Tag des Gebets und der Trauer. Doch bestehen kaum Zweifel, dass dieses schlimmste Unglück in der Geschichte des Landes schon bald die vielen Schwächen im Katastrophenschutz aufzeigt. Pakistan besitzt immer noch keine technische Infrastruktur, die eine rasche und adäquate Reaktion erlaubt. Ein Beispiel hat die Regierung in Islamabad direkt vor Augen, weil in der Hauptstadt eines der drei Hochhäuser der „Margalla Towers“ einstürzte. Es dauerte einen Tag, um das Gerät zur vorsichtigen Beseitigung der Trümmer zu installieren. Und erst als in der Nacht das erste britische Rettungsteam eintraf, konnte die Suche nach Überlebenden systematisch beginnen.

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