Nicht die Immobilie ist wertvoll, sondern das, was sich darin befindet
: Ein Haken im System

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Mein Elternhaus wird verkauft, und es fällt mir schwer, das hinzunehmen. Aber die Welt dreht sich weiter. In den großen Städten gibt es Orte, an denen man ebenso heimisch wird. Das hängt viel damit zusammen, ob diese Orte und man selbst zusammen passen. Mag man es zum Beispiel, dass riesige Teller voller Bratkartoffeln serviert werden, mit einem ebenso riesigen Salat dazu? Mag man es, dass Straßenmagazinverkäufer und Musiker zwischen den Tischern herumlaufen? Mag man es, dass das Personal etwas weniger förmlich agiert?

Dann ist man vielleicht gerne im Schanzenstern in Hamburg gewesen, vor oder nach dem Kinobesuch im 3001. Für mich ist das so gewesen. Ich bin da gern gewesen und eigentlich ausschließlich im 3001, wenn ich ins Kino wollte. Das 3001 ist ein kleines Kino, man kann sich im Grunde alles ansehen, was da läuft. Es ist nett, die Leute sind nett, sie kontrollieren zum Beispiel nicht, ob einer tatsächlich berechtigt ist, ermäßigten Eintritt zu erhalten. Solche Leute sind das da nicht. Der Schanzenhof, in dem auch noch andere alternative Projekte ihren Sitz haben oder hatten – ein Boxclub, eine Kulturetage mit Sängerinnen und Tänzerinnen, eine Drogenhilfeeinrichtung – geht gerade den Bach runter.

Zwei Leute, Brüder, haben das alles gekauft. Das kann man ja, so etwas kaufen. Es ist ja etwas Kaufbares, eine Immobilie. Was das sonst noch alles war, der ganze Schanzenhof, das hat keinen Wert. Nicht in dem Sinne, dass jemand Geld dafür bezahlen würde. Wenn das 3001-Kino eine Goldgrube wäre, dann hätte das sicher auch gerne einer gekauft.

Die Sache ist die, wenn also einer eine Immobilie kauft, dann will er auch Geld damit verdienen, sonst würde er diese Immobilie ja gar nicht kaufen. Man muss sich da mal in den Immobilienbesitzer reinversetzen. Der will so viel Geld wie möglich verdienen. Das wollen wir doch alle, oder?

Ich möchte hier mit diesem Artikel auch so viel Geld verdienen wie möglich. Aber nun ja. Jedenfalls können die Mieter keine 14 Euro Miete zahlen. Die meisten Mieter im Schanzenhof sind nicht so besonders vermögend. Die machen keine großen Gewinne oder gar keine. Die sind auf anderes aus.

Wenn einer viele Jahre lang nicht darauf aus ist, morgen mehr Geld zu verdienen als heute, ich kenne dieses Prinzip, mein Leben verläuft ähnlich, dann ist er wie ein Haken im Getriebe. Wie, du machst nicht ganz gewitzte Geschäfte mit Häusern? Du bist nicht schlau genug, rasch zuzuschlagen, wenn was im Angebot ist? Du weißt nicht, wo man am besten sein Geld anlegt? Weißt du nicht? Interessiert dich nicht? Dich interessiert nur, etwas Schönes zu machen, etwas Gutes, etwas Richtiges? Dann bist du ein Haken.

Du sollst dich vergrößern, verschnellern, vermehren, du sollst Ableger bilden, investieren, nach vorne gehen, damit du steigende Mieten zahlen kannst, damit du am Ball bleibst. So ungefähr ist das System, in dem du aber ein Haken bist, ein Hemmschuh. Die Brüder, die das Haus gekauft haben, die sind im Fluss, die sind auf der Gewinnerseite, die verstehen gar nicht, nehme ich an, wie einer so dumm sein kann und da nicht mitmachen will. Ich selbst weiß auch nicht, wie man hier leben soll, ohne wenigstens ein bisschen mitzumachen. Ich schreibe diese Kolumne nicht für umsonst, aber auch nicht für viel Geld. Ich schlängel mich so durch.

Der Fehler ist vielleicht, dass überhaupt jemand einen Schanzenhof kaufen kann. Die Stadt sollte solche Immobilien verwalten, weil sie der Allgemeinheit dienen, weil sie Kultur sind. Das ist nicht einfach eine Immobilie. Die Immobilie ist am Schanzenhof das Wertloseste.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.