Von Putzfrau zu Putzfrau

Die eine ist Schauspielerin, die sich und ihren Sohn jetzt durchbringt mit einer Stadtputztour für Touristen. Für die andere ist es ein ganz normaler Beruf. Eine Begegnung in Schwaben

„Ich bin schnell. Ich bin so. Bei mir im G’schäft, da kannsch auf’m Klo essen“

MILKA HOFFMANN, PUTZFRAU

AUS ESSLINGEN WALTRAUD SCHWAB

Esslingen gefällt Milka Hoffmann. „Milka“, sagt sie „lila Kuh.“ Ihr Lachen ist kehlig und rau. Den Namen haben ihr die Eltern in Bihac, Bosnien, gegeben. Einen Bauernhof hatten die und drei Kinder: die Schwester, der Bruder, dazwischen sie. Jetzt sitzt sie in braunem Samtanzug im Café hinterm historischen, roten Esslinger Rathaus, einem Renaissance-Fachwerkbau, bestellt Filterkaffee, sagt: „unten isch das Wasser besser“ – unten, das ist Bosnien. Dabei schaut sie über den mit Kopfstein gepflasterten Platz zum Münster. Sie sagt: „Esslingen, des isch mei Stadt.“

Ihr halbes Schwäbisch hilft, die Grammatik zu richten. Sie sei ja meist mit Deutschen zusammen. „Ich finds au nit schlecht.“

Milka Hoffmann ist Putzfrau. „Ich bin so. Ich will kei Dreck.“ So zehn Euro die Stunde, rund tausend Euro im Monat hat sie. „Mir reicht des. Ich wohn ja allein.“ Die Miete für ihre zwei Zimmer: 580 Euro. „Ich habs sauber. Ich kenn eine, die wirft alles unters Bett. ‚Warum putzsch des nit?‘ – ‚Ah, koi Luscht.‘“ Dreck, den kann Milka Hoffmann nicht leiden.

Hoffmann putzt in der Esslinger Familienbildungsstätte. In der Diakonie putzt sie auch. Manchmal hilft sie noch in der Psychiatrie aus. „Ich bin schnell. Ich bin so. Bei mir im G’schäft, da kannsch auf’m Klo essen. Ich weiß nicht, ob das krankhaft ist, die Putzerei. Die Fenschter hier“, sie dreht sich um und zeigt zum Haus, „die find i dreckig.“

SMS aus Bosnien

Ein Brautpaar taucht auf, überquert den Platz vor dem Rathaus, sie in Weiß, er in Schwarz. Es wird fotografiert. Wenn sie noch mal heiratet, dann will Milka Hoffmann es auch in Weiß, sagt sie. Die jetzige Situation ist anders: „Ich hab Scheidung gemacht. Der hat was getrunken.“ Wie sie das Alleinsein verkraftet? „Was soll ich denn machen?“ Jetzt hätte sie einen „unten“, in Bosnien. Seit vier Jahren. Der schreibe ihr SMS. „Aber ich weiß nicht. Ich traue mich nicht. Ich habe schlechte Erfahrung gehabt. Der trinkt. Ich will keinen, der trinkt. Der hatte aber schlimme Eltern. Die Mutter hat Fleisch gegessen roh.“

Auch die Hochzeitsgäste werden fotografiert. Männer mit Hüten. „Findsch jo keine g’scheite Männer“, sagt Hoffmann. „G’scheite sind vergeben.“ Frauen in lila Kleidern, mit Kindern auf dem Arm. Hoffmann hat keine. Sie schaut sich „Bauer sucht Frau“ an. Aber auf einen Bauernhof will sie nicht mehr, obwohl sie die Arbeit kennt. „Ich kanns alles.“ Aber nein. „Ich geh sowieso um neun ins Bett. Um fünf steh i auf.“ Dann geht sie putzen. „Ich will es so.“

Sie hat auch schon mal bei Sabine Becker-Brauer, einer Schauspielerin, die Fenster geputzt. Die fegt als die Esslinger „Stadtputzfrau Erna“, mit Kittelschürze, Trümmerfrauenkopftuch, Eimern und Besen durch die Stadt. „Putzen isch mein Lebenszweck, und wenn ich putz, isch der Dreck weg“, singt sie, während sie Touristen durch Esslingen führt.

Statt den Fremden was von der mittelalterlichen Architektur, der Dionys-Kirche, dem alten Rathaus, dem Schwörhaus zu erzählen, erklärt die Stadtputzfrau Erna ihnen das schwäbische Putzfrauenwesen, die Kehrwoche, sie erläutert, was es mit dem Brunnenputzer auf sich hat, wie auch mit den Dingen, die man abg’staubt hat, und warum man in Schwaben Brezeln verputzt. Die Touristen finden das toll. „Immer nur diese Kirchen“, sagt einer. „In jeder Stadt diese Kirchen.“ Da sei es mal was anderes.

Milka, die mit auf Ernas Stadtputztour kommt, gefällt die Sache auch. Sie fühlt sich geehrt, dass sie eingeladen wurde. Die Putzfrau und die Putzfrau. Die eine, die diesen Beruf wirklich macht. Die andere, deren Tour eine Hommage an die unzähligen schwäbischen Hausfrauen ist, die dafür sorgen, dass man es doch irgendwie schön hat, schöner hat, wenn es sauber ist.

Becker-Brauer, die Erna also, beginnt ihre Tour am Postbrunnen. Nein, eigentlich beginnt sie in der Apotheke gegenüber – „der Magen isch’s“, ruft sie dem Apotheker zu. Der kommt zur Tür und plauscht ein wenig mit der Erna über die Gesundheit und über das, was man so hört von den anderen Leuten, ihren Krankheiten und Sauereien, ihren Geburten und Liebeleien.

Dann marschiert sie mit gewaltigem Schritt zum Brunnen, Eimer und Leiter unterm Arm, steigt hinauf, putzt dem Gaul, auf dem der Postbote oben auf der Stele sitzt, erst das Maul und dann „’s Ärschle“ und erklärt, während sie es tut, den zwei Dutzend Gästen, darunter Milka, „Milka, machsch du des au so“, dass man früher, als man sich noch am Zuber wusch, statt zu duschen, zwei Waschlappen hatte: den hellen für obenrum, den dunklen für untenrum. Sie redet sich warm, fragt ein paar Teenager, die vorbeilaufen, „Habt ihr das fallen lassen da? Hebt es auf.“ Sie steht auf dem Brunnenrand, doziert von der Reinheit.

Dann zieht sie mit Riesenschritten weiter zum nächsten Ort, unterwegs sammelt sie Müll von der Straße, animiert die Gäste, es ihr gleichzutun – „dass d’ Leit alles wegwerfet heit“ –, stellt sich auf eine schmale Balustrade beim Stadtarchiv und gibt ihre Kehrwochenlektion. „Als Erstes braucht man ein Schild, auf dem ‚Kehrwoche‘ steht“, sagt sie. Sie holt eins aus ihrem Eimer, hängt es am Fensterladen auf.

Hoffmann steht auf der anderen Seite der Gasse, die die Balustrade vom Platz trennt, und sagt, dass sie nicht weiß, ob die Schwäbinnen wirklich Putzteufel seien. „Es gibt welche, die putzen, und es gibt welche, die putzen nicht.“

Hoffmann kam 1973 nach Deutschland. Da war sie zwanzig. Zu Hause lief es nicht gut. Sie hat sich geweigert, nach der sechsten oder siebten Klasse, genau weiß sie es nicht mehr, weiter zur Schule zu gehen. Der Vater war wütend, schlug zu. „Jung, blöd und dumm“, soll er gebrüllt haben. Aber auf einem Bauernhof gibt es immer Arbeit. Und so ein junges Mädchen, das ist wie eine Kuh, die man vor den Wagen spannt.

Später dann wollten ihre Verwandten, dass Milka, die damals noch nicht Hoffmann hieß, die Wirtschaft von der Tante macht. „Aber ich bin doch nicht blöd.“ Sie holte sich Papiere für Deutschland. „Die haben hier halt Leute gesucht“, erzählt sie. Und sie wollte weg. „Ich war im Konsulat, und da musste ich ein paar Stunden warten und dann hatte ich die.“

Sie strandet in Stuttgart, dann Calw, dann Esslingen. Erst arbeitet sie in der Gastronomie, später ist sie selbstständig, hat eine Kneipe. „Die hab ich wieder zugemacht. Schuhverkäuferin war ich auch.“ Jetzt ist sie Putzfrau. „Was der Tag bringt, was d’ Nacht bringt, weiß man vorher nicht.“ Wenn sie putzt, zieht sie Plastikhandschuhe an, obwohl sie Handschuhe nicht leiden kann.

Derweil ist Erna bei der Putzmacherin angekommen. Die lässt sie erklären, was es mit dem Handwerk auf sich hat. Die Stadtputzfrau plaudert mit den Leuten, auf diese Art zieht sie das Publikum in den Alltag der Esslinger hinein. Hoffmann darf ihre Assistentin sein, ihre Schwester im Geist. „Super, super. Die hat das Herz der Putzfrau verstanden“, sagt sie. „Ich komme auch ins Schwitzen beim Putzen. Dann mache ich das Fenster auf, dann zieht es. Das soll es nicht.“ Ihr Lieblingsputzmittel? Klares Wasser. Nur wenn es fettig ist, nimmt sie Meister Proper.

„Alles riecht nach Fisch“

Esslingen findet sie sauber. „Aber unten in Bosnien ist es nicht so sauber. Die lassen alles liegen. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht sind die psychisch wegen dem Krieg so.“ Vier Mitglieder ihrer Familie sind umgekommen. Die Häuser kaputt. Ihre Geschwister wohnen irgendwo nur nicht mehr da, wo sie herkommt. Aber gut hätten sie es jetzt wieder. Der Bruder, Fabrikarbeiter, hätte „ein Stückle“ einen Schrebergarten.

Im Sommer war Hoffmann in Kroatien im Urlaub. Sie hat es nicht ausgehalten, ist früher zurückgefahren. „Das war schlimm. Die putzen nicht. Die Zimmer sind nicht sauber. Die Klos kannsch vergessen. Alles riecht nach Fisch.“

Nach dem Stadtrundgang treffen sich die Putzfrau und die Putzfrau im „Marktplatzbesen“, einer Kneipe, noch einmal. Die eine, eine Schauspielerin, die an Stadttheater, Landestheatern, Freilufttheater spielte und sich und ihren Sohn jetzt durchbringt mit der Putzfrauenshow. Die andere, die überlebt, weil sie putzt.

Man sitzt da und redet über das Leben und redet aneinander vorbei. Die Schauspielerin überlegt sich, ob sie für den Winter eine Putzfrauentour durch die Kirchen macht. „So für die innere Reinigung.“ Die Putzfrau sagt: „Ich find die Moslems besser, die helfen einem. Die Türken sind auch nett. Obwohl – es gibt solche und solche. Ich bin orthodox, aber ich gehe in jede Kirche. Da, die evangelische, die katholische, da war ich auch schon drin.“

Die eine sagt, dass sie mittlerweile 95 Führungen gemacht hat. Die andere sagt: „Esslingen ist in einem Loch drin. Das Klima, das wechselt hier so. Ich merk das, ich bin wetterfühlig.“ Die eine sagt: „Ich kann das nicht, eine Putzfrau spielen und dann eine Putzfrau kommen lassen.“

Nur für die Fenster, da macht sie ’ne Ausnahme. Die andere sagt: „Für mich ist Putzen normal. Ich schäme mich nicht. Für mich ist Arbeit Arbeit.“ Hoffmann subtrahiert das Komplizierte am Leben und dann wird es schon einfach. „Man darf sich nicht zu viel wünschen“, sagt sie.