Eine Spitze mehr: Parochial- kirche wieder mit Turm

Wiederaufbau Der Aufbau hat vier Tage gedauert. 94 Tonnen Stahl und Kupferblech wurden für das 3,5 Millionen Euro teure Projekt verbaut

Der Glockenturm wächst Foto: dpa

Von etwas Nackenstarre geplagt, erlebte Elisabeth Ziemer am Wochenende das Richtfest zum Turmaufbau der Parochialkirche in der Klosterstraße. Die frühere grüne Bezirksbürgermeisterin von Schöneberg und stellvertretende Vorsitzende des Vereins „Denk mal an Berlin“ hatte vier Tage lang den Wiederaufbau des 65 Meter hohen Kirchturms mit Blick nach oben verfolgt und sich dabei wohl ein wenig verzerrt.

Wert war Ziemer das alles trotzdem: „Wir sind sehr froh, dass mit der Turmrekonstruktion die Parochialkirche wieder im Stadtbild sichtbar ist und es hierfür ein großes Interesse gab.“ Die aufsehenerregende Aktion des Wiederaufbaus unweit des Roten Rathauses habe in den Tagen zuvor „eine wahre Fangemeinde angezogen“.

Dem Richtfest war in der Tat ein spektakulärer Aufbau vorausgegangen. Auf den Kirchturmstumpf der barocken Parochialkirche, die 1944 zum Teil zerbombt worden war, hob ein Monsterkran erst ein kupfernes Basisgeschoss, dann das neue Glockengeschoss mit 52 Glocken, das Uhrengeschoss und schließlich die spitze Turmpyramide mit der goldenen Kugel und einer Sonne als Schlusspunkt.

Insgesamt 94 Tonnen Stahl und Kupferblech wurden für das 3,5 Millionen Euro teure Projekt des Architekten Jochen Langeheinecke verbaut, der die originale Rekonstruktion mit der Denkmalpflege seit 2014 ausgearbeitet hatte. Finanziert wurde der Turmaufbau von der Stiftung Klassenlotterie, dem Verein und zudem von Hans Wall. Der Unternehmer und Vorstand des Fördervereins half mit 420.000 Euro an Spendenmitteln kräftig mit, „um hier mein bestes Stadtmöbel“, wie er ironisch sagte, hochzuziehen.

Das Denkmal Parochialkirche, deren roher kriegsbeschädigter Innenraum heute als besonderer Raum für Kulturveranstaltungen genutzt wird – darunter von der Staatsoper – gehörte mit der Potsdamer Garnisonkirche zu den berühmtesten barocken Sakralbauten Preußens.

Doch anders als die Soldatenkirche in Potsdam spielte der 1703 eingeweihte Bau des Architekten Johann Arnold Nering und die obeliskartige Turmspitze von Philipp Gerlach aus dem Jahr 1714, eine zivile und moderne Rolle. Im historischen Zentrum Berlins, dem bürgerlichen Klosterviertel, war die Parochialkirche die Stadtkirche für die reformierte Gemeinde. Das berühmte Glockenspiel mit damals 37 Glocken der vom Volksmund getauften Singuhrkirche spielte nicht Melodien zu deutschen Sekundärtugenden wie das „Üb‘ immer Treu und Redlichkeit“ der Garnisonkirche, sondern beliebte Andachts-, Jahreszeiten- und Volksmelodien.

Von außen war die Parochialkirche bis zum Mai 1944 ein imposanter Zentralbau. Zu DDR-Zeiten wurde eine Sanierung nur bruchstückhaft in die Wege geleitet, zeitweise diente das Kirchenschiff sogar dem „Sozialistischen Handels-Betrieb Möbel Berlin“ als Lagerraum.

Man muss ja kein Freund von Kirchengebimmel sein, aber das Glockenspiel der Parochialkirche in der Klosterstraße soll legendär gewesen sein. Friedrich I. hatte der Kirchengemeinde die Glocken gestiftet. Diese wurden beim Brand 1944 zerstört.

Ab September 2016 werden die neuen 52 Bronzeglocken wieder Melodien läuten und die Zeit schlagen. Anders als die historischen Glocken ist das neue Glockenspiel wie das Carillon im Tiergarten ein modernes Instrument. Es kann digital und manuell gespielt werden.

Für den Glockenspieler hat der Architekt unter den Glocken einen Raum eingerichtet – mit Dreifachverglasung gegen den „Lärm“. (rola)

Seit 1991 versuchen das Land Berlin und seit 2003 der Verein „Denk mal an Berlin“ die kriegszerstörte Bausubstanz zu erhalten, zu sanieren und wieder nutzbar zu machen. Mit dem Turmaufbau ist hierfür ein großer Schritt getan worden.

Rolf Lautenschläger