Auf Crashkurs

Freitagskasino von Ulrike Herrmann
Finanzstabilität ist keine Priorität mehr. Die nächste Krise wird kommen

Ulrike Herrmann

Foto: Amélie Losier

ist ausgebildete Bankkauffrau und hat an der FU Berlin Geschichte und Philosophie studiert. Von ihr stammen die Bücher „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012) sowie „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam“ (Piper 2015)

Die nächste Finanzkrise kommt bestimmt. Es ist nur noch unklar, welches Ereignis sie auslösen wird. Eine Kon­junkturflaute in China? Ein Crash in einem anderen großen Schwellenland? Oder eine neue Volte in der Eurokrise?

Dass Banken und Fonds schwanken, wissen auch Laien. Aber lange hatten sie kein Sprachrohr – bis vor genau fünf Jahren „Finance Watch“ gegründet wurde. Die Idee war gut: Europaweit taten sich 48 Nichtregierungsorganisationen zusammen, um eine kleine Truppe von Bankexperten in Brüssel zu finanzieren. Sie sollten Lobbyisten der Zivilgesellschaft sein und gegen die vielen tausend Lobbyisten antreten, die die Finanzindustrie unterhält. Die EU-Parlamentarier sollten nicht mehr allein den Einflüsterungen der Banken ausgesetzt sein.

Es war von Anfang an ein ungleicher Kampf, den die Mitarbeiter von Finance Watch führen mussten. Das Klischee von „David gegen Goliath“ passt hier bestens. Daher ist es auch kein Wunder, dass es ein wenig deprimierend ist, den jüngsten Jahresbericht für 2015 zu lesen. Denn erstens wird so deutlich, dass das Geld nicht reicht. Auf den 50 Seiten geht es sehr viel um Spenden und um Zuwendungen, die man eigentlich noch benötigen würde.

Gewollte Überforderung

Zweitens wird die eigene Überforderung dokumentiert, denn die wenigen Mitarbeiter müssen sich um eine riesige Liste von Themen kümmern. Als Prioritäten für das Jahr 2016 hat sich Finance Watch unter anderem vorgenommen: „Verbriefungen, weitere Vorschläge im Rahmen der Arbeits­agenda der Kapitalmarktunion (Crowdfunding, Prospektvorschriften), Bankenstrukturreform, Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften, Kapitalvorschriften für die Handelsbücher der Banken, Regulierung des Privatkundengeschäfts, Umsetzung der EU-Finanzmarktrichtlinie MiFID II, Finanzdienstleistungen in den Freihandelsabkommen.“

Diese Überforderung ist durchaus gewollt, denn die Liste ist so lang, weil die Banken durchgesetzt haben, dass die Regulierung möglichst komplex ausfällt. Nach der Finanzkrise 2008 haben die Finanzinstitute einen entscheidenden strategischen Sieg errungen. Sie durften das Spielfeld bestimmen, auf dem sich fortan alle bewegen mussten: die Politik, die Aufseher und Bankenkritiker wie Finance Watch.

Die Banken konnten nämlich erreichen, dass nur die Regulierung verschärft wird. „Regulierung“ klingt zwar wie eine drakonische Waffe, doch tatsächlich bringt es überhaupt nichts, bis zum letzten Detail Vorschriften zu erlassen – weil der Wust der Gesetze und Richtlinien so unübersichtlich ist, dass auch die Aufseher den Überblick verlieren. Die Banken können also ihre Praktiken weitgehend ungehindert fortsetzen.

Dies führt zum dritten Grund, warum der Jahresbericht von Finance Watch so deprimiert ist: Schonungslos wird festgestellt, dass sich an den Strukturen in der Finanzwelt nichts geändert hat. Seit der letzten Krise sind viele Banken sogar noch größer geworden – und der weltweite Schuldenberg ist weiter gewachsen. Das Risiko nimmt also zu, dass es zu einem neuen Crash kommt.

Falsche Prioritätensetzung

Doch diese Gefahr wird in der EU-Politik nicht wahrgenommen, wie Christophe Nijdam von Finance Watch beobachtet: Nach der Krise hatte Finanzstabilität oberste Priorität. Jetzt sind Arbeitsplätze am wichtigsten. Das Ziel Wirtschaftswachstum mag selbstverständlich wirken, hat aber Folgen: „Bei der Kapitalmarktunion verschiebt sich die Betonung von ‚Lass uns die Schattenbanken regulieren‘ zu ‚Lass uns die Schattenbanken fördern‘.“

Diese Fehlentwicklungen prangert Finance Watch sehr kundig an, aber die eigentliche Schlacht ist längst verloren. Direkt nach der Finanzkrise haben die Politiker eine folgenreiche Fehlentscheidung getroffen: Sie haben auf Regulierung gesetzt, statt das Eigenkapital zu erhöhen, das die Banken aufweisen müssen. Eigenkapital besteht aus Aktien und einbehaltenen Gewinnen – und dient als Verlust­puffer, falls es zu Krisen kommt.

Finanzökonomen wie Martin Hellwig fordern, dass das Eigenkapital bei bis zu 30 Prozent der Bilanzsumme liegen sollte, damit die Banken nicht vom Staat gerettet werden müssen, wenn Verluste anfallen. Doch stattdessen konnten die Institute erreichen, dass ihr Eigenkapital bis 2018 nur auf 3 Prozent der Bilanzsumme steigen muss. So sieht es das internationale Abkommen „Basel III“ vor.

Banker sind nicht mehr die einzigen Experten. Dank Finance Watch sind auch Bürger informiert

Es ist übrigens kein Zufall, dass die Banken ihre gesamte Lobbymacht aufgeboten haben, um ein stark erhöhtes Eigenkapital zu verhindern. Denn sie sahen eine Kausalkette des Grauens vor sich: Wenn künftig mehr Eigenkapital verlangt wird, müssen auch mehr Aktien ausgegeben werden. Mehr Aktien bedeuten, dass das Volumen der ausgeschütteten Dividenden steigt. Also müssen die Boni sinken, weil man den Bankgewinn ja nur einmal verteilen kann: Was an die Aktionäre geht, muss bei den Bankmanagern gestrichen werden.

Foodwatch hat viel verändert

Die Banker wollten also ein erhöhtes Eigenkapital unbedingt verhindern, wussten aber auch, dass die Politiker nicht gänzlich untätig bleiben konnten. Die Schäden der Finanzkrise waren zu offensichtlich. Den deutschen Staat hat es mehr als 400 Milliarden Euro gekostet, die Banken zu retten, die Konjunktur anzukurbeln und Steuerausfälle zu verkraften. Symbolische Abbitte war also nötig: Die Banker machten willig bei der Regulierung mit, weil von Anfang abzusehen war, dass die Vorschriften nicht viel bringen würden.

Vorerst kann Finance Watch nichts daran ändern, dass sich die Groß­banken durchgesetzt haben. Aber der nächste Crash kommt bestimmt, wie auch die Investmentbanker wissen. „Panik“ ist genau das richtige Wort, um ihre Stimmung zu beschreiben. Denn bei einer weiteren Krise wäre es sehr wahrscheinlich, dass die Großbanken verstaatlicht und zerschlagen werden. Die Spielanordnung hat sich nämlich verändert: Die Banker sind nicht mehr die einzigen Experten. Auch die Bürger sind inzwischen informiert und mit Argumenten munitioniert – was nicht zuletzt Finance Watch zu verdanken ist.