WENN SICH DIE UNTERSTÜTZERINNEN SYRISCHER FLÜCHTLINGE IM HINTERZIMMER DES ROTES-KREUZ-LADENS TREFFEN, GIBT ES KAFFEE UND KUCHEN UND SO MANCHE BEFINDLICHKEIT
: Aber wer hilft den Helfern?

Foto: privat

VOGELFLUGLINIE

von Rebecca Clare Sanger

Hej Refat!“ – „Sitzt du gerade und fährst Auto? Und hast du jemanden neben dir?“ – Ein bisschen triumphierend hört er sich an. Wir stehen bei Rot an der Ampel, im Nirgendwo, und Refat weiß etwas über mich, was eigentlich nur einer wissen kann, der im Auto vor uns sitzt. Da kommt auch schon ein Arm aus dem Fahrerseitenfenster vor uns. „Mit wem biste denn unterwegs?“, frage ich, denn ich weiß, er hat keinen Führerschein und trotzdem ein Auto, billig geschossen. „Mit Kaled und Mohammad und Said.“ – „Grüß mir deine Frau“, sage ich, und wir legen auf. Beim Anfahren bemerke ich, dass im Auto vor uns zwei bleiche, junge Mädchen sitzen. Aber kein Refat.

Kurz darauf werfe ich meine Freundin aus dem Auto, damit sie die Kinder abholen kann, und sause verspätet zum ersten offiziellen Treffen der freiwilligen Helfer für syrische Flüchtlinge des Roten Kreuzes auf Møn. Im Hinterzimmer des Rotes-Kreuz-Ladens, bei Kaffee und Kuchen, die Türglocke läutet ständig, und die Hälfte kenne ich schon: Kirsten ist da, Koordinatorin beim Roten Kreuz in Vordingborg, die mir Refat und Rabei damals vorgestellt hat. Bodil habe ich oft gesehen, in Rabeis Unterkunft. Dorte, ehemalige Tontechnikerin, ist eine herzensgute Katzenfrau, ihr alter Ford steht immerzu vor sämtlichen Flüchtlingsunterkünften der Insel. Ach ja, und die saure Susanne: Ich weiß gar nicht mehr, wo ich sie zum ersten Mal getroffen habe, und nun sehe ich in jedem Supermarkt drei von ihr.

„Die Koordination ist halt einfach nicht so gut“, sagt Susanne. „Ich finde, wir brauchen EINEN Besuchsfreund per Flüchtling und nicht Tausende. Ich war neulich bei Refat, seine Kinder waren krank irgendwie und dann waren da plötzlich 10.000 Fahrräder und Tonnen voll Spielzeug für die Kinder von allen möglichen Helfern.“ Ich muss innerlich grinsen. Refat besorgt sich sogar Tauben aus Syrien. Und macht blasse Mädchen aus Autofenstern winken. „Ja, manche Flüchtlinge verstehen es, nach rechts, links und hinten nach Hilfe zu greifen“ sagt Kirsten dazu, die vom Roten Kreuz in Vordingborg.

Niels van Gard besteht bei der Vorstellungsrunde als einziger auf den Nachnamen. Er ist Vorstand einer lokalen Fortbildungsstätte und möchte dem Roten Kreuz ein Angebot machen. Syrische Flüchtlinge könnten Seite an Seite mit dänischen Freiwilligen ganz informell die Schule – vollständig – neu bemalen. „Kunst?“, frage ich. „Nein, nein, die ganz regulären Malerarbeiten. Es ist mal wieder dran.“ Niels ist deswegen auch im Gespräch mit der Gemeinde. Niels, finde ich, ist nicht mehr zu helfen. Aber er kommt bestimmt durch mit dem Projekt.

Tina weiß nicht, wie sie den Ramadan-fastenden Frauen begegnen soll. „Das machen die doch gar nicht alle!“, weiß Kirsten. „Die meisten Kurden zum Beispiel sind total entspannt und fasten gar nicht, trinken Alkohol. Die sind nicht mehr Muslim als ich Christin.“ – „Also die beiden, die halten Ramadan“, sagt Tina trocken. Als Altenpflegerin scheint sie an besserwisserische älteren Damen gewöhnt.

Dorte erzählt, dass Rabei und seine Frau fasten. Da bedarf ich plötzlich der Hilfe: „Habt ihr eine Ahnung, warum er sich plötzlich von mir zurückgezogen hat?“, frage ich. Und sage, dass es mir ein wenig weh tut, von seinem zweijährigen Sohn zu hören, der so schön mit Dortes Nachbarkindern spielt. „Ja, nee, weiß ich auch nicht“, sagt Kirsten. „Ihnen geht’s auf jeden Fall gut.“ Mehr sagt sie nicht. Und ich fühle mich so dumm. So indiskret. Habe ich es in 40 Jahren denn noch nicht gelernt? Warum trage ich mein Herz auf der Zunge? Warum halte ich nicht meinen Mund? Nun kennen sie meine kleinliche Kränkbarkeit. Was erwarte ich auch von freiwilligen Helfern?

Erst später, im Bett, soll’s mir einfallen: ein Debriefing. Ein Entgegenkommen. Freundliches Miteinander. Jetzt ist aber erst mal der Kuchen aufgegessen, ich geh kurz aufs Klo. Und plötzlich sind alle weg.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht 14-täglich an dieser Stelle.