Britische Universitäten nach dem Brexit: Das große Zittern
Vom Erasmus-Studierenden bis zur Forscherin: An britischen Unis herrscht Unsicherheit, wie es nun weitergeht.
Klar ist: Die grenzüberschreitende Forschung dürfte künftig komplizierter werden, wenn Großbritannien aus der EU austritt. Denn dann muss Großbritannien alle Verträge über die Forschungszusammenarbeit, aber auch über den Austausch von Wissenschaftler*innen und Studierenden neu verhandeln. Der Präsident der deutschen Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Horst Hippler, der sich kurz vor dem Referendum mit seiner britischen Kollegin Julia Goodfellow von der Universities UK traf, prognostizierte damals: „Neue Grenzen würden uns um Jahre zurückwerfen.“
Deutschland und Großbritannien sind – nach den USA – die wichtigsten Partner des jeweils anderen Landes. Gegenwärtig werden 971 Forschungsprojekte, an denen beide Länder beteiligt sind, mit über 5 Milliarden Euro gefördert, und zwar über das EU-Forschungsprogramm Horizon 2020. Das 80 Milliarden Euro schwere EU-Programm für Wissenschaft und Innovation ist für die britischen Hochschulen zudem eine wichtige Finanzierungsquelle.
Etwa ein Sechstel ihres Forschungsbudgets stammt von der EU, rund 19.000 Jobs hängen laut der britischen Hochschulvereinigung Universities UK am EU-Tropf. Die EU-Finanzierung ist für die britischen Unis in den letzten Jahren noch wichtiger geworden, weil der Staat seine Zuschüsse drastisch reduzierte.
Kein Wunder, dass die britischen Wissenschaftler*innen das Votum für den EU-Austritt des Landes arg beunruhigt. Nach der Entscheidung appellierte Goodfellow an die britische Regierung, nun dafür zu sorgen, dass britische Wissenschaftler*innen und Studierende weiterhin Zugang zu EU-Programmen haben, und sicherzustellen, damit sie auch künftig aus EU-Ländern auf die Insel kommen.
Wissenschaftlerin in Cambridge
Das betrifft in großem Maße auch deutsche Wissenschaftler*innen. Rund 5.200 forschen derzeit an britischen Einrichtungen, sie stellen die größte Gruppe der ausländischen Uni-Mitarbeiter*innen im Vereinigten Königreich. Eine von ihnen ist Nicole Janz, die 2009 mit einem EU-Promotionsstipendium nach Großbritannien gekommen ist.
Heute arbeitet sie als Teaching Associate an der soziologischen Fakultät der Universität Cambridge und forscht über die Auswirkung der Globalisierung auf Menschenrechte. Ihr Vertrag in Cambridge läuft 2019 aus. Und dann? „Das Schlimmste ist die Unsicherheit. Da wir nicht wissen, was kommt, ist jeder total gestresst“, berichtet Janz über das vorherrschende Gefühl unter den Wissenschaftler*innen.
Der Vizekanzler der Universität hat diese Woche eine Mail an alle Mitarbeitenden verschickt: Man arbeite jetzt normal weiter. Eine eigens eingerichtete Arbeitsgruppe prüft, was jetzt zu tun sei, und man werde eng mit der Regierung zusammenarbeiten, „um sicherzustellen, dass Angestellte und Studierende aus EU-Ländern weiterhin in diesem Land studieren und arbeiten können“.
Janz beeilt sich derweil, geplante Anträge auf EU-Fördergelder für ihr Forschungsprojekt abzuschicken. Derzeit könnten sich die Forscher im Vereinigten Königreich für das EU-Forschungsprogramm weiter bewerben, versichert Wissenschaftsminister Johnson. Aber wie lange noch? Wissenschaftlerin Janz vermutet, dass sie nicht die Einzige ist, die sich jetzt schnell noch um eine Zusage für EU-Mittel bemüht.
Auch bei deutschen Studierenden ist Großbritannien beliebt. Derzeit sind knapp 14.000 an britischen Hochschulen eingeschrieben, mehr als ein Viertel von ihnen mit einem Erasmus+-Stipendium. Für die Erasmus-Studierenden ist das Studium kostenlos, die anderen zahlen die ermäßigten Studiengebühren für Inländer*innen in Höhe von maximal 9.000 Pfund pro Jahr. Den Deutschen, die künftig nach Großbritannien zum Studium reisen, drohen nun die höheren „Übersee“-Studiengebühren für Ausländer*innen. Auf der anderen Seite sind derzeit über 2.000 Briten mit einem Erasmus-Stipendium an deutschen Hochschulen eingeschrieben.
Der britische Wissenschaftsminister Jo Johnson, der ältere Bruder von Boris Johnson, der sich auf die Seite der Brexit-Befürworter geschlagen hatte, veröffentlichte am Dienstag eine Erklärung, die beruhigen sollte. Erasmus-Studierende, die zurzeit oder im kommenden Jahr in Großbritannien studierten, seien nicht betroffen, EU-Studierende, die Anspruch auf nationale Stipendien oder Darlehen hätten, könnten mit diesen zu Ende studieren.
Konsequent reagieren
Nun bedeutet ein EU-Austritt nicht automatisch das Ende der Teilnahme an Erasmus+ und Horizon 2020. So nehmen ja auch Länder, die nicht EU-Mitglied sind, an den Programmen teil, zum Beispiel Norwegen. Doch die EU kann sehr streng reagieren, wenn jemand sie infrage stellt. So schloss die Europäische Kommission 2013 die Schweiz aus Erasmus+ aus, nachdem die Schweizer in einem Volksentscheid gegen „Masseneinwanderung“ gestimmt hatten. Die Schweiz musste danach ein Austauschprogramm aus eigenen Mitteln aufbauen.
Die stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Bildung und Forschung im deutschen Bundestag, Simone Raatz (SPD), spricht sich für ein konsequentes Agieren gegenüber Großbritannien aus. Die Politik müsse zwar nach Wegen suchen, die Zusammenarbeit fortzuführen – aber auf niedrigerem Niveau. „Mir tun die jungen Leute leid, die sich mehrheitlich für einen Verbleib in der EU ausgesprochen haben“, sagte Raatz der taz.
Raatz fürchtet aber auch Nachahmungseffekte in anderen EU-Ländern, wenn die EU jetzt zu lax reagiert. In den Niederlanden wirbt die rechte Partei von Geert Wilders ebenfalls für einen EU-Austritt. Und in den Niederlanden studieren immerhin 24.000 deutsche Studierende.
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