DIE WENIGSTEN SHOPPENDEN KLEINBÜRGER VERSTEHEN NEIL YOUNG. UND DER WELTUNTERGANG? REIFT HERAN IM KORB EINER FAHRRADRUINE
: Im Labor

ROGER REPPLINGER

Da gibt es in der Weidenallee einen Fahrradständer, an dem nur Schrotthobel hängen. Kannst du dich drüber aufregen. Oder eine Langzeitbeobachtung machen: die Stadt als Labor.

Dran ein schwarzes Peugeot-Damenrad – merkwürdig, wo sich der Ausdruck „Dame“ hält, der ja Geschlecht und Klasse benennt, und wo nicht. Also ein „Damenrad“, keine Luft in den Reifen, das Rücklicht hängt weg, gutes Schloss, auf dem Gepäckträger eine Plastikflasche mit einer Pfütze Wasser, wachsen schon Pflanzen drin. Beobachte ich seit Monaten, bald haben sie den Verschluss der Flasche erreicht.

Daneben ein blaues „Carpenter Compakt“, noch besser gesichert als das Peugeot. Vielleicht können die Besitzer ihre Räder überhaupt nur vergessen, weil sie so gut gesichert sind? Vorne dran ein Korb, in dem auch was wächst: braun, Tempotaschentücher drum herum, Laub, tote Insekten. Es stinkt. Wenn wir jetzt dramatische Musik einspielen, John Carpenter führt Regie, und Kurt Russell kommt die Weidenallee runter, dann geht erst Eimsbüttel, dann Hamburg und schließlich der Rest zu Grunde an dem braunen Ding, das da wächst.

An der Verbindungsbahn gibt es einen Zaun, an dem hängt ein Fahrrad. Erst waren die Reifen weg, dann Schaltung, Kette und Licht. Dann hing es auf der anderen Seite des Zauns, der Straße und Bahnlinie trennt, kam wieder zurück. Jetzt ist nur noch der Rahmen da, schönes Blau. Kann lange halten, so ein Rahmen.

Die Occupy-Zelte auf dem Gertrudenkirchhof, an denen Kleinbürger und Bürger vorbei müssen, sind auch ein Labor. Es gibt nicht viele Ecken in dieser Stadt, in der sie mehr das ist, was sie auch ist, als in der Mönckebergstraße. Und bei dem, was die Stadt hier ist, und was für Kleinbürger und Bürger wichtig ist – vor allem kurz vor Weihnachten –, stören diese Zelte, die ein bisschen aussehen wie die Tipis, von denen Neil Young in „Pocahontas“ singt.

„Schrecklich“, seufzt eine Dame, und der Mann: „Dass die Stadt so was duldet…“ Manche lesen, was die Okkupisten schreiben, schütteln den Kopf und sagen, was Kleinbürger und Bürger seit je her über politisches Engagement sagen: „Die ham keine Schangse.“ Und: „Wo gehen die aufs Klo?“ Und: „Schlimm, der Müll.“

Nicht weit von hier hab ich mein Rad an einem Fahrradständer gepackt, gegen 7.30 Uhr, an einem Montag. Als ich um 12.45 Uhr weg will, ist da ein schwarzes Damen-Hollandrad mit Schloss und dicker Kette, die den Rahmen meines Rades umfasst. Suche eine Stunde nach dem Eigentümer. Komme um 20 Uhr wieder, die Kette ist noch da. Das kannst du nur – um die Nerven nicht zu verlieren, nicht zur Polizei zu gehen, keine Flex zu holen – als Test begreifen. Am nächsten Morgen sind Rad und Kette weg und mein Hinterreifen ist platt.

Manchmal beißen die Laborratten nur, damit die Assistentinnen die Dosis der Sedativa erhöhen.