„Derart frank und frei geäußerten Rassismus trifft man inzwischen wieder häufiger“
das bleibt von der Woche In Kleingärten paart sich Rassismus mit Spießigkeit, die Sängerin Anohni bezaubert mit neuer Identität, die SPD-Fraktion lässt Michael Müller in Sachen Videoüberwachung abblitzen, und beim Volksentscheid Fahrrad wird es jetzt spannend
Verborgen wie eine Jedi-Ritterin
Anohni im Tempodrom
Nun, als Anohni, scheint sie ganz bei sich angekommen zu sein
Man wusste gar nicht, ob man am Ende des Konzerts dieses Menschen mit der schönsten, melodramatischsten und berührendsten Stimme der Welt am Dienstagabend eher beflügelt oder befremdet nach Hause gehen sollte. Seit Beginn der nuller Jahre beglückt uns Antony Hegarty mit seiner Musik – nun, da sie eine Frau ist und sich Anohni nennt, ist sie offenbar bei sich angekommen.
Denn anders als die ersten Platten dieser Ausnahmekünstlerin kommt Ahnoni nun weniger kammermusikalisch warm denn elektronisch erkaltet daher, die Songs handeln nicht mehr von Identitätskonflikten, die laut Anohni heutzutage ja schon zum Lifestyle gehören, sondern vom Elend dieser Welt, von der Klimaerwärmung bis hin zum Drohnenkrieg. Dies gefällt den Fans von Antony oder Anohni offenbar wenig: Das Tempodrom ist an diesem Abend jedenfalls nur halb voll.
Was Ahnoni in diesem schönen Zirkuszelt anzubieten hat, ist nichtsdestotrotz hinreißend. Den ganzen Abend zeigt sie sich nicht, verbirgt sich wie ein Jedi-Ritter hinter einem weißen Umhang mit Kapuze, langen Handschuhen und Gaze vorm Gesicht, und sie lässt sich nur wenig beleuchten. Stattdessen legt sie ihre Lieder in die Münder anderer Frauen, die ihre Songs mimisch interpretieren und deren ausdrucksvolle Gesichter auf einer großen Leinwand über der Bühne zu bewundern sind. Einige dieser Frauen sind Künstlerinnen, sie haben große schauspielerische Fähigkeiten, ohne den nachdrücklichen Gesang von Anohni überzuinterpretieren.
Und so landet man in diesem seltsamen Konzert doch wieder beim Spiel mit Identitäten, das Antony einst so eindrücklich besang. Umso erstaunlicher ist es, dass ein nicht kleiner Teil des erschienenen Publikums an diesem Abend im Tempodrom aus stinknormalen Heten besteht. Heten, die sich absolut angesprochen fühlen, übrigens.
Aber egal, wer sie sind – die meisten verlassen das Konzert am Ende still, ja nachdenklich. Susanne Messmer
Kulturkampf
der
Zwerge
Rassismus im Kleingarten
Fordern Kleingärtner etwa auch eine „Quote für Ökolinke“? Eben.
Das Klischee ist hinreichend bekannt: Kleingärten mit ihren Gartenzwergen, Vorschriften und Vereinsmeierei sind ein Hort „urdeutscher“ Spießigkeit. In dieser Woche ist das Bild um eine hässliche Nuance reicher geworden: Rassismus. In der Tempelhofer Kolonie „Frieden“, wie sie passenderweise heißt, existiert offenbar eine „Migrantenquote“. Zwei Bewerber um freie Parzellen berichten, sie seien vom Verein abgelehnt worden, weil sie „nichtdeutscher Herkunft“ seien und man schon zu viele nichtdeutsche Gärtner habe.
Derart frank und frei geäußerten Rassismus trifft man inzwischen wieder häufiger. Zwar ist man beim Bezirksverband nach dem öffentlichen Aufschrei ein bisschen zurückgerudert, will von einer Quote nichts wissen. Andererseits rechtfertigt man das Verhalten des Vereins: Nichtdeutsche Mitglieder hätten am Sonntag Rasen gemäht und sich über Bikinis ihrer Nachbarn beschwert.
Noch unverblümter spricht der Chef der Kleingartenkolonie am Freitag im Kurier über die schrecklichen Vergehen der vorhandenen türkeistämmigen Vereinsmitglieder: „Sie nehmen nicht an Veranstaltungen teil, schicken ihre Kinder nicht zu den Festen.“ Sein Fazit: Türken sind „nicht integrierbar“.
An dieser Argumentation erkennt man nun leicht die rassistische Denkstruktur solcher Gartenzwerge. Denn natürlich gibt es in Kleingärten andauernd Konflikte: Nur werden die, wenn sie zwischen „Deutschen“ ablaufen, individuell behandelt – und nicht gleich zum Kampf der Kulturen hochgejazzt. So gibt es inzwischen auch viele Herkunftsdeutsche, beschreiben wir sie klischeehalber als grün wählende Ökomittelschichtsfamilien, die einen Kleingarten haben – und, was man so hört, teils massive Probleme mit langweiligen Vereinsfesten, lästigen Arbeitseinsätzen und Abmahnungen wegen zu viel Unkraut oder zu langem Rasen. Aber hat man schon davon gehört, dass Kleingärtner eine „Quote für Ökolinke“ oder Ähnliches fordern? Eben. Susanne Memarnia
SPD-Fraktion stellt sich gegen Müller
Videoüberwachung
Entweder ist Müller beratungsresistent, oder er hat seine Macht überschätzt
Der Mittwoch dieser Woche war kein guter Tag für Michael Müller. Abblitzen ließ ihn die eigene Fraktion in Sachen Videoüberwachung, der Müller im Senat schon zugestimmt hatte. Seine Niederlage steht in krassem Gegensatz zu seinem Anspruch, die (SPD-)Macht im Land bei sich zu bündeln – genau aus diesem Grund hatte er ja im April überraschend den SPD-Landesvorsitz für sich beansprucht und Jan Stöß aus dem Amt gedrängt.
In der Fraktion beteuert man nun, man habe Müller klar und deutlich gesagt, dass das nicht gehe mit der Videoüberwachung an gefährlichen Orten, jedenfalls nicht nach CDU-Vorstellungen und über einen Modellversuch am Alexanderplatz hinaus. Das mag schon sein. Und natürlich gilt das nach dem verstorbenen früheren SPD-Fraktionschef im Bundestag benannte Struck’sche Gesetz, wonach kein Gesetz das Parlament so verlässt, wie es hereinkommt.
Doch anders als in den USA oder in Frankreich ist man in Deutschland nicht so konsequent mit der Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive à la Montesquieu. Der Chef im Weißen Haus hat weder im Senat noch im Repräsentantenhaus einen Sitz. Müller hingegen und zwei weitere Senatsmitglieder sitzen in der SPD-Fraktion, Arbeitssenatorin Dilek Kolat führt zudem einen einflussreichen Kreisverband der Partei. Der Fraktionsvorsitzende wiederum ist direkt in die Regierungspolitik eingebunden, weil er, wenn auch ohne Stimmrecht, an den wöchentlichen Senatssitzungen teilnehmen kann.
Wenn in einer solchen Ausgangssituation mit derart engen Verflechtungen dennoch etwas kommunikativ schiefläuft, hat das seinen Grund. Das heißt dann nämlich, dass der Regierungschef entweder beratungsresistent ist oder seine Macht trotz des jüngst erworbenen Parteivorsitzes überschätzt hat.
Es heißt aber auch, dass die SPD-Fraktion trotz der in elf Wochen anstehenden Abgeordnetenhauswahl bereit gewesen ist, Müller – ihren Spitzenkandidaten für ebendiese Wahl – auflaufen zu lassen. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, mögen die SPD-Innenpolitiker nun sagen, man habe eben gewisse Werte und Ideen. Jene Wähler aber, die nicht so genau auf die Inhalte, sondern nur auf die Spitzenkandidaten gucken, erwarten das, was der frühere FDP-Chef Guido Westerwelle mal so formulierte: „Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt’s einen, der die Sache regelt.“ Müller kann das jedenfalls derzeit nicht für sich beanspruchen. Stefan Alberti
Die Wahl, das Radund die Qual
Volksentscheid Fahrrad
Der Kompromissvorschlag des BUND kommt eher dem Senat entgegen
So langsam wird es spannend beim Volksentscheid Fahrrad. Dass die Berliner RadlerInnen die Initiative im ersten Schritt massiv unterstützen würden, war klar. So sind die 105.000 Unterschriften höchstens in ihrer Vielzahl erstaunlich. Aber was kommt jetzt?
Viel hängt von der Prüfung der Rechtmäßigkeit durch Noch-Innensenator Frank Henkel (CDU) ab. Nicht unbedingt, weil größere Zweifel daran bestehen. Sondern, weil danach sich Senat und Abgeordnetenhaus innerhalb von vier Monaten zu dem Gesetzesvorschlag äußern müssen. Und beide sind wegen der Parlamentswahl Mitte September de facto derzeit nicht handlungsfähig. Wann sie es wieder werden, ist völlig offen.
Nun stehen erst mal Verhandlungen an zwischen Senat und Initiative. Am 18. Juli soll es ein erstes – und bisher einziges – Treffen geben, um vielleicht einen Kompromiss zu finden. Doch auch hier stellt sich wegen der Wahl, exakt zwei Monate später, die Frage: Wie soll der Senat eine Garantie geben, dass eine Einigung länger als bis zum 18. September Bestand hat? Und umgekehrt: Vielleicht könnte die Initiative bei einer denkbaren Nachfolgeregierung aus SPD, Grünen und Linken noch viel mehr rausholen?
Am Dienstag hat sich der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in die Debatte eingemischt und einen möglichen Kompromiss skizziert: Verkehrssenator Andreas Geisel (SPD) solle schnell 25 Millionen Euro zusätzlich für den Radverkehr ausgeben, also insgesamt 40 Millionen, und rund 30 zusätzliche Stellen in Land und Bezirken einrichten – als Zeichen guten Willens. Tatsächlich hält Geisel diese Erhöhung für sinnvoll, allerdings muss das – derzeit pausierende – Parlament das Geld bewilligen.
Anschließend, so der BUND, sollte die bestehende Radstrategie des Landes mit der von der Initiative geforderten Verbindlichkeit – also mit Gesetzeskraft – ausgestattet werden. Auf diese Weise könnte dann eine „nachhaltige Mobilitätspolitik“ umgesetzt werden, die auch die Belange von FußgängerInnen und öffentlichem Nahverkehr berücksichtigte.
Der Vorschlag kommt eher dem Senat entgegen als der Initiative. Letztlich scheitern dürfte er indes vor allem daran, dass die Radlobbyisten sich nicht mehr mit Versprechungen abspeisen lassen wollen, wie Mitinitiator Heinrich Strößenreuther gegenüber der taz noch mal betonte. Und mehr als Versprechungen kann Geisel nicht geben.
So wird der Sommer wohl ohne konkreten Fortschritt vergehen und das Thema entweder direkt in den Koalitionsverhandlungen nach der Wahl landen. Oder die BerlinerInnen dürfen Ende des Jahres wieder unterschreiben. Diesmal müssten 175.000 RadlerInnen das tun – was ebenfalls kein Problem sein wird. Bert Schulz