Chronische Armut bleibt

Nach der Hungersnot: Niger – keine Reserven mehr übrig

NIAMEY taz ■ Direkt hinter Nigers Hauptstadt Niamey fährt eine Kolonne Eselskarren, voll mit Hirsestengeln, abgeschnittenem Gras und Bohnenkraut. Auf den Feldern rechts und links von der Straße wird die Ernte eingeholt. Das Land ist grün, selbst die kargen Hügel sind mit einer leichten Grasschicht überzogen. Denn in Niger hat es von Juni bis Oktober geregnet. Vier Monate Regenzeit, das sei ja fast wie früher, schwärmen die Alten.

Stolz steht der Bauer Harouna im Dorf Karey Gorou zwischen seinen vier Meter hohen Hirsepflanzen, die in diesem Jahr alle kräftig tragen. Sein Gesicht ist faltig, seine Hände hart von der Feldarbeit. Er ist Vater von sieben Kindern, die meisten schon erwachsen und verheiratet. Der Alte strahlt: „Dieses Jahr gibt es eine gute Ernte!“ Die harten Monate Februar bis August, als der Hirsespeicher leer war und die Preise ins Unermessliche stiegen, sind vergessen.

Für den Viehzüchter Hidji aus dem Nordwesten des Landes ist das Vergessen nicht so leicht. Er sitzt unter einem Baum auf seiner Bastmatte. „Wenn ich mich umsehe, sehe ich meine kleine Herde Kühe. Wie soll eine zehnköpfige Familie davon leben?“, fragt er. Sein ältester Sohn ist in die Hauptstadt gegangen, um Arbeit zu suchen, manchmal schickt er ein wenig Geld. Hidji ist dünn, auch seine Frau wirkt müde und ausgemergelt. Die Familie hat seit Monaten nicht mehr gut gegessen, von Hilfslieferungen sahen sie auch während der schlimmsten Monate nichts. Sie überlebten durch eisernen Willen. Jetzt erholen sie sich langsam, da die Kühe Milch geben. Doch in ein paar Monaten wird diese Quelle wieder versiegen, wenn die Weiden abgegrast sind.

„Die Situation in Niger ist keine Nothilfesituation“, sagt Nigel Tricks vom irischen Hilfswerk Concern. „In Niger handelt es sich um ein Resultat chronischer Armut.“ Das ist auch nicht durch eine einmalige Hilfsoperation zu ändern, wie das Land sie gerade erlebt hat. Niger lebt seit Jahren mit chronischen Nahrungsmitteldefiziten, und dieses Jahr hatte die Bevölkerung keine Reserven mehr, um eine kritische Phase aus eigener Kraft zu überstehen.

Die internationale Reaktion kam sehr spät – erst, nachdem im Fernsehen die passenden Bilder geliefert wurden. Danach wurde es eine Medienschlacht. Journalisten und Entsandte von Hilfswerken gaben sich die Klinke in die Hand, stiegen in teuren Hotels ab und hielten die Einheimischen auf Trab, um zu unterernährten Kindern zu fahren und sie zu fotografieren. Für die lokalen Hilfsorganisationen war das oft eine Belastung. An langfristiger Entwicklung zeigten die meisten Besucher wenig Interesse. Es gab sowieso keine Zeit für Planung und großes Nachdenken.

Gian Carlo Cirri, Vertreter UN-Welternährungsprogramms WFP, zieht dennoch eine positive Bilanz: „Das Hauptziel, Menschenleben zu retten, haben wir erreicht und damit eine große humanitäre Katastrophe abgewendet“, erläutert er. Kritiker allerdings beklagen, die internationale Gemeinschaft habe die gesamte Koordination übernommen. Nigers Regierung bekam nicht einmal die Hälfte der zugesagten Mittel.

Nun will sich die Regierung von der Bevormundung befreien und fordert den Stopp der Verteilungen. Aber das löst das Problem nicht. Ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation meint: „Die reichen Kaufleute kaufen die Ernte massiv auf und lagern die Hirse in ihren Speichern. Dann geht der Preis bald in die Höhe. Sie warten auf die nächste Notsituation, um die Hirse für ein Vielfaches des normalen Preises an das WFP verkaufen zu können.“ SANDRA VAN EDIG