Venezuela

Die chavistische Revolution versprach den Venezolanern mehr soziale Gerechtigkeit. Davon ist heute nichts mehr zu spüren

„Neue Phase der Revo­lution“

Ziele Linke Oppositionelle hoffen auf Neubeginn

Nikmer Evans

Foto: Archiv

41, war früher Präsidentenberater der chavistischen Regierung. Heute lehrt er an der Universität Caracas und ist im Vorstand der Organisation Marea Socialista, die Maduro ablehnt.

taz: Herr Evans, mit der Bestätigung der Unterschriften wird ein wichtiger Schritt in Richtung Abwahlreferendum gemacht. Heißt das, dass die Tage von Präsident Nicolás Maduro gezählt sind?

Nikmer Evans: Die sind ohnehin gezählt. Maduro wird mit Sicherheit 2019 nicht wiedergewählt werden, weil er zu wenig Rückhalt in der Bevölkerung hat. Die Frage ist nun nur, ob er schon vorher abtreten muss.

Die Regierung scheint alles daranzusetzen, das Referendum bis in den Januar hinein hinauszuzögern. Dann würde es zumindest keine Neuwahl geben.

Auch die Opposition hat sich sehr viel Zeit gelassen und die Unterschriften erst im Mai eingereicht. Es gibt auch innerhalb des Oppositionsbündnisses MUD Bestrebungen, dass das Referendum erst im kommenden Jahr stattfindet. Sollte es erfolgreich sein, übernimmt dann laut Verfassung nämlich der Vizepräsident das Präsidentenamt. Manche in der Opposition sehen das als Vorteil, dass der dann nicht vom Volk bestätigt werden muss. So könne er unpopuläre Maßnahmen leichter durchführen, etwa in der Wirtschaftspolitik.

In diesen Tagen protestieren auch viele vormalige Regierungsanhänger gegen die Regierung. Ist die chavistische Revolution am Ende?

Sie tritt in eine neue Phase ein. Die Leute sind unzufrieden mit einer Regierung, die die Revolution verraten hat. Es ging Chávez darum, die Lebensumstände zu verbessern und ein nachhaltiges neues Wirtschaftsmodell zu etablieren. Und beides verkennt die Regierung Maduro.

Das Abwahlreferendum ist Ihrer Ansicht nach also richtig?

Es ist nicht die Lösung der Probleme in Venezuela. Aber es ist ein wichtiger Schritt dorthin. Wichtig ist, dass es jetzt auf beiden Seiten Diskussion gibt über die Zukunft des Landes. Die Regierung, die die Wahlbehörde und die Justiz in Geiselhaft genommen hat, hat aber offensichtlich kein Interesse daran, dass den Menschen eine wirkliche Alternative geboten wird. Deshalb wird die Marea Socialista …

… Ihre Organisation, die sich als sozialistische Bewegung versteht, aber die Regierung stark kritisiert …

… auch nicht als Partei anerkannt. Dabei zeigen Analysen, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung sich keinem der beiden großen Lager zuordnet.

Interview Sebastian Erb